Kirche und Sexualität | Teil 11
Liebe zwischen Eros und Seligkeit

Die Sexualität hat zwei Gesichter. Diese zeigen sich auch in der Art und Weise, wie die menschliche Liebe gedeutet und gelebt wird. Der italienische Maler Tizian hat um 1514 in einem Auftragswerk anlässlich einer Hochzeit die beiden Gesichter der Liebe dargestellt: Die himmlische Liebe ist nackt und rein, im hellen Licht und unverhüllt den Blicken ausgesetzt, umwallt von einem Tuch in Rot, der Farbe der göttlichen Liebe; im Hintergrund weist ein Kirchturm wie ein Finger zum Himmel. Die irdische Liebe hingegen ist in reiche profane Prunkgewänder gekleidet und hebt sich ab von dunklen Schatten im Hintergrund; eine mächtige Burg verweist auf die weltliche Macht.

Die Kunsthistoriker interpretieren das Werk mit Hilfe der platonischen Philosophie, unter deren Einfluss Tizian stand: Die irdischen Wirklichkeiten sind gleichsam Schatten der ewigen Ideen und verhülltes Abbild der göttlichen Herrlichkeit. Das heißt umgekehrt, dass in der irdischen Schönheit gleichsam wie in einem Spiegel die himmlische Vollkommenheit betrachtet werden kann.

Moralistische Interpretation

Erst sehr viel später, im 18. Jahrhundert, hat das Bild von Tizian eine moralistische Interpretation erfahren: Dargestellt seien zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Formen der Liebe. Die irdische Liebe würde die begehrende, mit weltlichem Prunk verblendende Verführung darstellen (amor concupiscentiae), die himmlische Liebe hingegen die reine, sich verschenkende Unschuld (amor benevolentiae).

Darin spiegelt sich die jahrhundertelang vorherrschende rigoristische Deutung einer Liebe wider, die in sich gespalten ist: in den begehrenden, zuchtlosen, den Menschen stürzenden Eros und in die sich verschenkende, reine, den Menschen erhebende Hingabe.

Es ist eine Errungenschaft der theologischen Anthropologie und Ethik der vergangenen Jahrzehnte, diesen Widerspruch überwunden zu haben in der Erkenntnis, dass die beiden Bewegungen sich nicht widerstreiten und einander ausschließen, sondern in der personalen Liebe zwischen zwei Menschen in eins fallen: Der Eros wird durch die Hingabe geheiligt, und die Hingabe kann auf erhabene Weise durch den Eros vollzogen werden.

Eros will uns zum Göttlichen hinreißen

In der Enzyklika "Deus caritas est" geht Papst Benedikt XVI. darauf ein und führt nach einem kurzen Blick auf das Bild des Eros in Geschichte und Gegenwart (Nr. 4) zwei Aspekte aus: "Zum einen, dass Liebe irgendwie mit dem Göttlichen zu tun hat: Sie verheißt Unendlichkeit, Ewigkeit - das Größere und ganz Andere gegenüber dem Alltag unseres Daseins. Zugleich aber…, dass der Weg dahin nicht einfach in der Übermächtigung durch den Trieb gefunden werden kann. Reinigungen und Reifungen sind nötig, die auch über die Straße des Verzichts führen. Das ist nicht Absage an den Eros…, sondern seine Heilung zu seiner wirklichen Größe hin. Dies liegt zunächst an der Verfasstheit des Wesens Mensch, das aus Leib und Seele gefügt ist.

Leib und Seele - eine Einheit

Der Mensch wird dann ganz er selbst, wenn Leib und Seele zu innerer Einheit finden; die Herausforderung durch den Eros ist dann bestanden, wenn diese Einung gelungen ist. Wenn der Mensch nur Geist sein will und den Leib sozusagen als bloß animalisches Erbe abtun möchte, verlieren Geist und Leib ihre Würde. Und wenn er den Geist leugnet und so die Materie, den Körper, als alleinige Wirklichkeit ansieht, verliert er wiederum seine Größe. … Aber es lieben nicht Geist oder Leib - der Mensch, die Person, liebt als ein einziges und einiges Geschöpf, zu dem beides gehört. Nur in der wirklichen Einswerdung von beidem wird der Mensch ganz er selbst. Nur so kann Liebe - Eros - zu ihrer wahren Größe reifen. … Der zum "Sex" degradierte Eros wird zur Ware, zur bloßen "Sache"; man kann ihn kaufen und verkaufen, ja, der Mensch selbst wird dabei zur Ware. …

Demgegenüber hat der christliche Glaube immer den Menschen als das zweieinige Wesen angesehen, in dem Geist und Materie ineinandergreifen und beide gerade so einen neuen Adel erfahren. Ja, Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade darum verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen." (Nr. 5)

Sexual- und Beziehungsethik

Auf diese Weise wird die erotische Liebe nicht auf den Genuss des Augenblicks reduziert, sondern schenkt einen gewissen Vorgeschmack der Höhe der Existenz, jener Seligkeit, auf die hin die tiefsten Regungen und Sehnsüchte des Menschen gerichtet sind.

Die Ausführungen von Papst Benedikt XVI. nehmen die differenzierte Sichtweise der Sexualität sowie ihre neue und grundsätzlich positive Wertschätzung auf, die in der Moraltheologie der vergangenen Jahrzehnte herausgearbeitet worden sind, und betonen ihre notwendige Integrierung in die Person und Beziehungskultur eines Menschen. Dies ist auch einer der Gründe dafür, dass viele Moraltheologen dafür plädieren, nicht mehr nur von Sexualmoral, sondern vielmehr von Sexual- und Beziehungsethik zu sprechen.

Unter den Moraltheologen gibt es unterschiedliche Meinungen zu einigen Themen der Sexualmoral, z. B. wird die Frage der Empfängnisregelung kontrovers diskutiert. Etliche setzen sich kritisch mit den Argumenten für oder gegen die Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung auseinander. Weil es dabei leicht zu Differenzen mit der Glaubenskongregation kommt, äußern sich viele Moraltheologen öffentlich nur zurückhaltend oder gar nicht mehr zu solchen kontroversen Themen. Eindrucksvoll kann dies in den beiden Bänden "Theologische Ethik autobiografisch" (hrsg. von Konrad Hilpert, Paderborn 2007/09) nachgelesen werden. Im zweiten Band (S. 268 bis 295) berichtet übrigens auch Bischof Karl Golser (Bozen-Brixen) von seinem moraltheologischen Werdegang und Wirken. Dabei gibt er einen interessanten "Blick hinter die Kulissen" während seiner fünfjährigen Tätigkeit (1977 bis 1982) als Mitarbeiter der Glaubenskongregation. Die letzte einschlägige, sehr lesenswerte Monographie hat Bernhard Fraling kurz vor seiner Emeritierung vor nunmehr 15 Jahren veröffentlicht ("Sexualethik. Ein Versuch aus christlicher Sicht", Paderborn 1995).

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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