Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 039
Jesus, der gute Hirte

Der gute Hirte, moldawische Ikone | Foto: wmc

Die Verlorenen suchen

Er weiß, dass es gerade denen, die in den Augen ihrer Zeitgenossen als Unwürdige gelten und die sich schließlich auch selbst als Unwürdige fühlen, besonders schwerfällt, sich lieben zu lassen. Immer wieder bekräftigt er unter anderem in Gleichnissen, dass Gott gerade sie mit besonderer Liebe sucht, sie, die nach den herrschenden gesellschaftlichen, moralischen oder auch religiösen Vorstellungen zu den Außenseitern gehören.

Das besondere Bemühen Gottes um gerade die Menschen, die von anderen ausgegrenzt werden, kommt eindrücklich in dem bekannten Gleichnis vom guten Hirten zum Ausdruck (Mt 18,12–14; Lk 15,1–6). Dieses Gleichnis erzählt von einem Hirten. ­Eines Tages bemerkt er, dass eines seiner 100 Tiere fehlt. Darüber ist er so besorgt, dass er die 99 verbliebenen Schafe zurücklässt und sich aufmacht, um nach dem einen verlorenen zu suchen. Als er es schließlich findet, ist seine Freude übergroß. Mit der bildhaften Redeweise dieses Gleichnisses gibt Jesus zu verstehen, dass jeder einzelne Mensch für Gott unendlich kostbar ist. Deshalb geht er ihm mit seiner liebenden Fürsorge nach und scheut keine Mühe, um sein Leben zu retten.

Jesus identifiziert sich so sehr mit seiner Botschaft, dass er sie auch vorlebt. So wendet er sich gezielt denen zu, die zu seiner Zeit als unehrenwerte Personen gelten. Zu ihnen gehören die Zöllner, die man wegen ihrer berufsbedingten Zusammenarbeit mit den Römern als Kollaborateure verachtete und denen man ihre Selbstbereicherung übelnahm. Zu ihnen gehören ebenso Prostituierte und bekannte Sünder. Jesus spricht mit diesen Menschen, setzt sich mit ihnen an einen Tisch und lässt sich von ihnen sogar beherbergen (vgl. Mk 2,15–17; Mt 11,19). Damit setzt er sich offen über die geltenden gesellschaftlichen Diskriminierungen hinweg. Jesus will zeigen, dass Gottes Barmherzigkeit keine Grenzen kennt. Als seine Umwelt ihn dafür kritisiert, rechtfertigt er sein Verhalten, indem er auf die Bedürftigkeit gerade der verachteten Menschen verweist und daran erinnert, dass nicht die Gesunden, sondern die Kranken den Arzt brauchen (Mk 2,17).

Man hat dem Christentum oft vorgeworfen, sein Heil sei auf ein fernes Jenseits fixiert und biete im irdischen Leben allenfalls eine billige Vertröstung. Wird da nicht reale Not übersehen, und schlimmer noch: sie aktiv verschleiert? Christen müssen sich ernsthaft fragen, ob dieser Vorwurf auf ihr Verhalten zutrifft.

Jesus ist eindeutig: Seine Botschaft vom Heil ist keineswegs jenseitig und weltfern. Sie überzeugt gerade dadurch, dass sie dieses Heil nicht nur mit Worten verkündet, sondern es im konkreten Verhalten bereits erfahrbar macht. So bewirkt das integrative Handeln Jesu im Leben der Armen und Ausgebeuteten bereits aktuell eine spürbare Veränderung. Diese Veränderung ist nicht nur spirituell, sie spielt sich nicht nur in der subjektiven Innerlichkeit Einzelner ab, sondern sie ist öffentlich.

Besonders dramatisch wird dieses leibhaftige Heil in den Heilungen erfahren, die das Wirken Jesu begleiten. Sie belegen, dass Gott an der konkreten Not seiner Geschöpfe Anteil nimmt und sie durch das Handeln Jesu von den Belastungen befreien will, die ihr Leben schwermachen und ihre Existenz bedrohen. Worte und Taten – auf zwei Wegen unterbreitet Jesus die eine gute Nachricht vom Heil, das Gott allen Menschen bereitet hat.

Wenn Jesus dieses Heil gerade den Verlorenen zusagt, so folgt daraus, dass dieses Heil weder mechanisch herbeigebetet noch herbeigebüßt werden kann. Es ist in keinem Fall selbst verdient, sondern stets wesentlich das Geschenk Gottes an die Menschen. Als Geschenk geht dieses Heil vorrangig auf die Initiative der Liebe Gottes zurück. Dieser zentrale Gedanke der Predigt Jesu kommt in den Evangelien an mehreren Stellen zum Ausdruck. Besonders eindringlich begegnet er im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16).

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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