heilsam sprechen. Fastenserie mit Anselm Grün | 07
Im Beten wächst die Hoffnung für den anderen Menschen

Im Beten füreinander tritt der Mensch in die Nähe dessen, der das Kreuz überwunden hat. – Kreuz in der Kapelle im Bildungshaus Greisinghof bei Tragwein, OÖ.  | Foto: Franz Litzlbauer
  • Im Beten füreinander tritt der Mensch in die Nähe dessen, der das Kreuz überwunden hat. – Kreuz in der Kapelle im Bildungshaus Greisinghof bei Tragwein, OÖ.
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Das siebte Werk der Barmherzigkeit besteht im Gebet für Lebende und Tote. Beten ist also ein Tun, ein Werk. Doch wie sieht das Gebet für den anderen aus, und wie wirkt es? Für den anderen beten heißt nicht, dass ich Gott bitte, er solle den anderen so ändern, wie ich ihn gerne haben möchte. Er soll endlich vernünftig werden. Er soll einsehen, dass ich recht habe. Ein solches Beten wäre kein Gebet für den anderen, sondern eher ein Gebet gegen ihn.

Das wahre Gebet für den anderen würde für mich bedeuten: Ich beschäftige mich erst einmal mit dem anderen. Ich spüre mich in ihn hinein: Wonach sehnt er sich? Worunter leidet er? Was bräuchte er? Was täte ihm gut? Und dann kann ich für ihn beten, dass Gott ihn segnen möge und ihm das schenke, was er am meisten braucht. Ich überlasse es Gott, was für den anderen gut ist. Ich kann mir immer wieder vorstellen, dass Gottes Geist und Gottes Liebe zu diesem Menschen hinströmen und ihn durchdringen. Die intensivste Form des Gebetes für einen anderen ist, für ihn zu fasten. Wenn ich mal einen Tag für einen anderen faste, dann wird mein Gebet für ihn ein leibhaftes Beten. Ich spüre den anderen in meinem Leib. Ich trage ihn im Fasten vor Gott, dass Gott ihn segne.

Beten wirkt. Manche haben Probleme mit der Wirkung des ­Bittgebetes. Sie meinen, Gott würde nicht in das Geschehen der Welt eingreifen. Heute sind wir nicht mehr so kritisch, wenn wir an die Wirkung des Gebetes denken. Die Quantenphysik lässt uns verstehen, dass das Gebet bis in die Materie hinein wirkt. Indem wir uns an Gott wenden und im Gebet voller Hoffnung für die Menschen werden, für die wir beten, wird das Feld, in dem wir leben, verwandelt.

Man kann die Wirkung des Gebetes auch psychologisch verstehen. Wenn ich für den anderen bete, sehe ich ihn anders. Ich bekomme neue Hoffnung für ihn. Manchmal fällt mir dann im Gebet für den anderen ein, was ich ihm sagen oder schreiben sollte. Meine hoffnungsvollere Sicht des anderen wird ihm helfen, dass er selber Hoffnung schöpft. Ich werde ihm anders begegnen und ihm ein neues Verhalten ermöglichen.

Beten trägt. Eine andere Wirkung des Gebetes: Wenn ich einer Frau sage: „Ich bete für dich“, dann wird sie sich von meinem Gebet getragen fühlen. Ich kenne viele Menschen, die mich bitten, für sie zu beten. Und wenn ich es ihnen verspreche, dann fühlen sie sich nicht allein, sondern von meinem Gebet getragen. Letztlich fühlen sie sich von Gott getragen. Doch über diese psychologische und menschliche Dimension hinaus dürfen wir sagen, dass das Gebet auf eine Weise wirkt, die wir nicht mehr beschreiben können, dass Gottes Segen zu den Menschen strömt, für die wir beten.

Für Verstorbene beten. Das siebte geistige Werk der Barmherzigkeit meint auch, dass wir für die Verstorbenen beten. Was bedeutet es, für die Verstorbenen zu beten? Sie sind doch schon bei Gott. Hat es da Sinn, für sie zu beten?

Zunächst ist das Gebet für die Verstorbenen Ausdruck unserer Verbundenheit mit ihnen. Wir erweisen ihnen durch unser Gebet einen letzten Dienst. Wir beten für sie, dass im Tod der Übergang zu Gott gelingt, dass sie sich sterbend in Gottes Liebe hinein ergeben. Wir wissen nicht, wie lange der Übergang zu Gott dauert. In der katholischen Tradition gibt es das Sechswochenamt. Man betet sechs Wochen lang für den Verstorbenen. Dann feiert man Eucharistie als ­Feier der Gemeinschaft mit dem Verstorbenen. In der Eucharistie wird die Grenze zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod aufhoben. Da dürfen wir die Gemeinschaft mit den Verstorbenen erfahren. Wir beten nicht nur für die Verstorbenen, sondern – wie Karl Rahner sagt – wir dürfen auch die Verstorbenen bitten, dass sie bei Gott für uns eintreten.

Ein Dienst der Liebe. So ist das siebte Werk der Barmherzigkeit, für die Lebenden und Verstorbenen zu beten, ein Dienst der Liebe an den Menschen. Wir drücken unsere ­Liebe zum anderen im Gebet aus und vertrauen darauf, dass durch unser Gebet Gottes Liebe heilsam in dem Menschen wirkt, für den wir beten. Und wir drücken im Gebet für die Verstorbenen aus, dass wir sie in ihrem Sterbe­prozess nicht allein lassen, sondern sie mit unserer Liebe begleiten. Und wir drücken aus, dass die Verbundenheit der Liebe über den Tod hinaus bleibt.

Gabriel Marcel, der französische Philosoph, sagte einmal: „Lieben, das heißt zum andern zu sagen: Du, du wirst nicht sterben.“ Wir vergessen die Toten nicht, sondern halten im Gebet ihr Andenken wach. Und die Toten werden uns zur Erinnerung an den eigenen Tod. Sie verweisen uns auf Gott, der das letzte Ziel unseres Lebens ist.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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