Türkei: Begegnungen im 21. Jahrhundert | Teil 02
Ich will noch nicht ans Heimkehren denken

Sie lachen laut. Ihre herzliche Stimmung springt sofort auf die österreichischen Besucher über. Es dauert nicht lange, bis die Barmherzigen Schwestern in Istanbul und ihre Gäste, eine von „missio Steiermark“ organisierte Reisegruppe, angeregt miteinander plaudern. Und mit dem duftenden kastanienfarbenen türkischen Schwarztee verbreitet sich gleich zu Beginn des Besuchs eine warme Atmosphäre.

„Wir sind hier in Istanbul ganz besonders für bedürftige Kranke da. So wollen wir als Christen in einem muslimischen Land Spuren hinterlassen. Das ist unsere Mission“, beschreibt Sr. Heliodora das Motto ihrer Ordenskongregation in Istanbul. Gemeinsam mit ihren Mitschwestern, darunter elf, die wie sie zur steirischen Ordensgemeinschaft gehören, leitet sie das St.-Georgs-Spital mitten im Zent-rum der Millionenstadt. Ungeachtet ihrer nationalen Herkunft und Religion versorgt man dort vor allem mittellose Kranke, die sich eine Behandlung in anderen Krankenhäusern der Stadt nicht leisten können. Immer wieder suchen auch Flüchtlinge aus Nachbarländern der Türkei das österreichische Krankenhaus auf.

Wie es dazu kam? Als 1872 in Istanbul eine Choleraepidemie wütete, bat der damalige Sultan den österreichischen Kaiser um Schwestern für die Pflege der Cholerakranken. Daraufhin nahmen in einer Baracke unweit des Galataturmes zwei Barmherzige Schwestern den Kampf gegen die Seuche auf – weitere folgten. 1893 erwarben die Österreicherinnen ein einfaches Holzhaus und eröffneten gemeinsam mit einem türkischen Arzt das erste Kinderspital im Osmanischen Reich. Bald war „Sen Jorj Hastanesi“ eine der bekanntesten Adressen in Istanbul. Heute umfasst das Mitte der 90er Jahre renovierte Gebäude über 50 Betten und eine große Ambulanzstation.

Die Arbeit der Schwestern ist höchst ungewöhnlich: „Wohl nirgendwo anders gibt es in Istanbul einen so großen Betrieb, der nur von Frauen geleitet wird“, streicht Sr. Berlinde die Besonderheit ihrer Tätigkeit heraus. Daran mussten sich die im St.-Georgs-Spital beschäftigten männlichen Ärzte und Pfleger schon einmal gewöhnen. Und als Christen gehören die Österreicherinnen in der Türkei ohnedies einer Minderheit an. „Wir haben aber ein gutes Verhältnis untereinander: Wenn wir zur Messe gehen, dann springen unsere muslimischen Mitarbeiter für uns ein, und wenn sie zu den Gebeten wollen, dann helfen wir aus. Wir sehen unsere Aufgabe auch als Völkerverständigung“, betonen die fröhlichen und energischen Schwestern.

Nur schwer fällt es den Expertinnen für interreligiöse und interkulturelle Arbeit, an eine Rückkehr nach Österreich zu denken. „Dafür gibt es viele Gründe“, strahlt Sr. Berlinde. Die Reisegruppe konnte so manche Schönheiten des Lebens in dieser Stadt, von denen Sr. Berlinde schwärmt, zumindest erahnen: Denn allein der Blick von der Terrasse des Krankenhauses auf die berühmten Istanbuler Sehenswürdigkeiten lädt ein, wehmütig zu werden.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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