Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 011
Hören auf das Wort

Der auferstandene Jesus erscheint zwei Jüngern in Emmaus. Eine moderne Ikone. | Foto: Wollenek
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Biblische Offenbarung

Mit dem Judentum geht es zudem davon aus, dass die Offenbarung in der Geschichte der Menschen greifbare Gestalt gewonnen hat. Unterschiedliche Meinungen vertreten beide Religionen hinsichtlich der Person Jesu. Während Jesus aus jüdischer Sicht allenfalls als Prophet anerkannt wird, sind Christen davon überzeugt, dass mit ihm Gott selbst seiner Welt nahegekommen ist. Diese Aussage ist spektakulär, denn mit ihr ist ausgesagt, dass die Distanz zwischen Gott und Mensch grundsätzlich überwunden ist. Damit aber erübrigt sich jede weitere Offenbarung. Dies erklärt, warum Christen das in Jesus Christus erfolgte Offenbarungsgeschehen als den un- überbietbaren Höhepunkt und damit auch als den Abschluss jeder göttlichen Offenbarung verstehen. Da damit alle anderen Offenbarungen notwendig relativiert sind, spielt diese Facette des christlichen Offenbarungsverständnisses im interreligiösen Gespräch eine große Rolle.

In der Heiligen Schrift erkennen Christen den literarischen Niederschlag der in Jesus Christus erfolgten göttlichen Offenbarung. Den Auskünften des Alten und Neuen Testaments zufolge, ist Gottes Offenbarung in einer Vielzahl von Formen erfolgt. Bezeugt sind einmal innere Gotteserfahrungen wie Visionen, Auditionen (Hörerlebnisse), Träume und Orakel. Des Weiteren gelten verschiedene geschichtliche Großereignisse, die sich in den Schemata von Verheißung und Erfüllung, Bedrängnis und Rettung beschreiben lassen, als Offenbarungsereignisse. Darüber hinaus kennt die Bibel eine Offenbarung Gottes in Wundertaten und personalen Erscheinungen, so besonders in den neutestamentlich bezeugten Ostererscheinungen. Neben diesen Offenbarungen im engeren Sinn kann man auch von einer Offenbarung Gottes in den Werken seiner Schöpfung sprechen.

Göttliche Offenbarungen besitzen in allen Religionen höchste Verbindlichkeit. Dies erklärt, warum Religionen im Allgemeinen und Offenbarungsreligionen im Besonderen die von der Gottheit empfangenen Botschaften für ihre Mitglieder zur Glaubensnorm machen. So betrachtet auch das Christentum die in der Heiligen Schrift gesammelten Zeugnisse göttlicher Offenbarung als bleibende Richtschnur, an der sich die weitere Ausgestaltung des Glaubenslebens orientieren muss. Der von Gott ausgehenden Initiative der Offenbarung entspricht auf Seiten des Menschen deshalb das Hören auf Gottes Wort. Dieses Hören wird dabei nicht nur als ein akustisches, sondern als ein ganzheitliches Geschehen verstanden, bei dem die Menschen aufgefordert sind, die Botschaft Gottes zu ihrer Lebensbasis zu machen. Erwartet wird ferner, dass die Gläubigen die Offenbarungsbotschaft als solche bewahren, sie bezeugen und weiterverbreiten.

Offenbarung und Auslegung
Das Christentum hat an der Verbindlichkeit der biblischen und insbesondere in Jesus Christus erfolgten Offenbarung stets festgehalten. Im Laufe der Kirchengeschichte hat sich jedoch das Verständnis dessen, was Offenbarung bedeutet, mehrfach verändert. Erst die Theologie des 20. Jahrhunderts hat wieder deutlich herausgearbeitet, dass die Offenbarung biblisch gesehen wesentlich ein Beziehungsgeschehen beschreibt, das Gott eröffnet hat und in das die Menschen eintreten sollen. Die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) beschreiben die Offenbarung Gottes als ein kommunikatives Geschehen, in dem Gott nicht irgendwelche Sätze, sondern vorrangig sich selbst mitteilt. Dieses Beziehungsgeschehen ist die Voraussetzung dafür, dass die göttliche Offenbarung stets lebendig bleiben und Menschen zu einer echten Begegnung mit Gott führen kann.

Wie jede andere Offenbarungsreligion, so hat auch das Christentum immer wieder neu um das rechte Ver­ständnis der göttlichen Offenbarung zu ringen. Die Auslegung der Offenbarung ist nach christlichem Verständnis die Aufgabe der Kirche als ganzer. Als Mitglied der Kirche ist jeder Christ aufgerufen, sich mit der in der Heiligen Schrift zugänglichen Offenbarung auseinander zu setzen. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als könnten Christen über die Geltung von Offenbarungsinhalten abstimmen. Vielmehr besteht das Ziel des Auslegungsprozesses darin, immer tiefer in den Sinn des Geoffenbarten einzudringen und auf diese Weise Gott näher zu kommen. Eine besondere Verpflichtung zur Auslegung der Offenbarung kommt zum einen den Bischöfen und zum anderen der Theologie zu. Die großen christlichen Konfessionen stimmen darin überein, dass es im Rahmen einer so verstandenen Auslegung immer wieder zu einem Wachstum im Verständnis der Offenbarung kommen kann.

Der auferstandene Jesus erscheint zwei Jüngern in Emmaus. Eine moderne Ikone. | Foto: Wollenek
Basilika von Lourdes. Die Marienerscheinungen hier sind als Privatoffenbarungen anerkannt.
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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