70 Jahre Sonntagsblatt | Teil 05
1986 bis 1995

„Wir sind Kirche“ fordert in den fünf Punkten des Kirchenvolksbegehrens eine „Erneuerung der Kirche im Geiste Jesu“.
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  • „Wir sind Kirche“ fordert in den fünf Punkten des Kirchenvolksbegehrens eine „Erneuerung der Kirche im Geiste Jesu“.
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Hier Applaus, dort legt man sich quer

Das fünfte Jahrzehnt in der Geschichte des Sonntagsblatts begann für die steirische Kirche hoffnungsfroh, vital und dynamisch. Der Impuls des Steirischen Katholikentags 1981 und des ersten Papstbesuchs in Wien und Mariazell 1983 pflanzte sich fort. Die nach dem Konzil eingerichteten Gremien wie Diözesanrat und Pfarrgemeinderäte, die nun zu greifen begannen und zu selbstverständlichen Institutionen geworden waren, stärkten das Selbstbewusstsein der Laien. Es war die Zeit der diözesanen Pfingst-Jugendtreffen, die einer neuen Generation Begeisterung für Glaube und Kirche vermitteln konnte. Es sind Kirchen gebaut worden – innerhalb weniger Wochen wurden etwa 1987 drei neue Gotteshäuser in Lannach, Graz-Liebenau und Graz-Ragnitz geweiht.

Natürlich hat man auch damals – wie zu fast jeder Zeit – über den „drückenden Priestermangel“ geklagt. Dabei gab es jährlich meist eine zweistellige Zahl an Neupriestern. Natürlich musste die Jugend sich ihren Platz in der Kirche erkämpfen – oft gegen große Widerstände des Pfarrers oder der Gemeinde. Aber sie war da und hatte das Bedürfnis, darum zu kämpfen. Natürlich waren erste Anzeichen eines Abbröckelns traditioneller volkskirchlicher Strukturen und eines tiefgreifenden Wandels schon erkennbar. Aber das alles geschah im Klima einer heiteren Zuversicht und eines vertrauensvollen Miteinander-Unterwegsseins als Kirche.

Doch dann zogen dunkle Wolken über der österreichischen Kirche auf, die sich in einer ernsten Krise entladen sollten. Auslöser dafür waren mehrere äußerst umstrittene Bischofs­ernennungen, die zwar nicht unsere Diözese betrafen, aber doch auch in der steirischen Kirchenlandschaft deutliche Spuren hinterließen. Wenn ein Glied leidet, leidet der ganze Leib mit. Im Juli 1986 wurde P. Hans Hermann Groër zum Erzbischof von Wien bestellt, das nach der Ära Kardinal Königs lange auf einen neuen Hirten warten musste.

Im Sonntagsblatt wurde er zunächst mit Wohlwollen vorgestellt. Chefredakteur Herbert Meßner bat in seiner Kolumne „Aus meiner Sicht“, die seit Herbst 1985 bis heute in jedes Sonntagsblatt einführt, die Leser(innen), auf das „unbeschriebene Blatt“ Groër nicht gleich einen einschlägigen Stempel draufzugeben. Gabriele Neuwirth schrieb in einem Portrait, er sei „nicht jener weichherzige, rosenzüchtende Priester, als den ihn so manche hinstellen wollen“, sondern „ein blendender Organisator“ und „eine zielstrebige Autorität“, der seine „enorme Sicherheit“ einem „intensiven Gebetsleben“ verdankt. Zunächst wurde vor allem das Befremden über die Art der Bestellung artikuliert, die ohne Einbeziehung der Ortskirche erfolgt war.

Die Proteste verstärkten sich, als bekannt wurde, dass Kurt Krenn Weihbischof werden sollte. Dessen Weihe erfolgte am selben Tag, an dem Bischof Johann Weber im Grazer Dom seinen 60. Geburtstag feierte. „An ein und demselben Sonntag ging es sehr verschieden zu“, beobachtete Meßner in seiner „Sicht“. Hier habe es Applaus für die Bischöfe gegeben, dort „legen sich die Menschen quer, wenn es zur Bischofsweihe geht“. Doch – so schickt er voraus – „seltsame Bischofsernennungen hat es immer schon gegeben.“ Krenn musste über einen Menschenteppich in den Stephansdom gehen. Vor allem kirchliche Laienorganisationen forderten mehr Partizipation ein und warnten vor aufreißenden Wunden. Der Wiener Weihbischof Florian Kuntner äußerte in einem Interview sein Befremden darüber, dass er als „in vielen Jahren engster Berater des Erzbischofs“ nun dreimal hintereinander von einer Bischofsernennung aus der Zeitung erfahren habe.

Der zweite Österreichbesuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1988 stand also unter ganz anderen Vorzeichen. Dennoch bekam – wieder aus der „Sicht“ Herbert Meßners – „Österreichs ein wenig verunsicherte Kirche mit dem Papstbesuch ein aufrüttelndes Erlebnis der Einheit geschenkt“. Die Kirche zeigte sich wieder kraftvoll und lebendig und der Papst, der begnadete Kommunikator, zog sie in seinen Bann. Das Aufatmen dauerte nicht lange. Noch im selben Jahr nahm der Papst den Rücktritt des 80-jährigen Salzburger Erzbischofs Karl Berg an. Zu dessen Nachfolger wurde der Altenmarkter Dechant Georg Eder ernannt und kurz darauf Klaus Küng vom Opus Dei zum Bischof von Feldkirch – der Riss zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk wurde tiefer. Die Krise gipfelte im Auftauchen der Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen Groër 1995 und dem eisernen Schweigen des Kardinals. Zunächst mahnten Bischofskollegen das „Recht jedes Menschen auf seinen guten Ruf“ ein, doch schon zwei Wochen später wurde Groër als Vorsitzender der Bischofskonferenz abgelöst. Bischof Weber übernahm die undankbare Aufgabe des Krisenmanagements – schließlich gab es für einen solchen Fall keine Handhabe.

Als Reaktion darauf entwickelten sich an der Basis Initiativen wie das 1995 durchgeführte österreichweite „Kirchenvolksbegehren“, das 500.000 Unterzeichnende fand, und zeitgleich – als eine Frucht der eingangs erwähnten Jugendtreffen – die „Weizer Pfingstvision“.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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