caritas in veritate | Teil 02
Gemeinsam unterwegs: Mehr Mensch möcht’ i sein

Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. | Foto: Neuhold, Wodicka
  • Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI.
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Als im Jahre 1967 Papst Paul VI. die Enzyklika „Populorum progressio“ veröffentlichte, erregte diese Enzyklika nicht wenig Aufregung. Ein Kommentar war mit der Frage überschrieben: „Hat der Papst die Linke links überholt?“ Er hatte die Linke nicht links überholt, sondern der Papst hatte „Entwicklung“ in eine ganzheitliche Perspektive gestellt, die revolutionär war. Leidenschaftlich für den ganzen Menschen und für alle Menschen, das ist die Position, an die Benedikt anknüpft, wenn er in Bezugnahme auf „Populorum progressio“ schreibt: „Wenn die Entwicklung nicht den ganzen Menschen und jeden Menschen betrifft, ist sie keine wahre Entwicklung“ (Nr. 18). Und dieser Ausgangspunkt ist gerade heute wieder notwendig. In einer technokratischen Verkürzung glaubt man alle Fragen schon gelöst, wenn die technische oder wirtschaftliche Frage – meist auch nur scheinbar – geklärt ist. Darüber wird der Mensch oft vergessen.

„Heutzutage kennen wir von allem den Preis, von nichts den Wert“, dieser Ausspruch von Oscar Wilde weist auf eine problematische einseitige und vereinseitigende Entwicklung in der Gesellschaft hin, nämlich auf ein Abstellen auf wirtschaftliche Parameter in der Entwicklung. Hier stellt der Papst eine umfassende Sicht von Entwicklung, die die verschiedensten menschlichen Bereiche betrifft, in den Mittelpunkt und setzt mit der Würde des Menschen einen Bezugspunkt, an dem Preise und Werte in Übereinstimmung gebracht und das, was sich einer Verpreislichung entzieht, in den Mittelpunkt gestellt werden kann. Wenn in der heutigen Situation aus der Formulierung „Der Mensch als Mittelpunkt“ nur zu leicht „Der Mensch als Mittel. Punkt“ wird, so wird mit dem Zielpunkt einer integralen Entwicklung dieser Versuchung, die den Menschen zu einem Mittel abwertet, zu wehren versucht. Erst in dieser integralen Sicht von Entwicklung kann eine umfassende Strategie, die die Eigenart der Menschen und Völker berücksichtigt und den verschiedenen Gegebenheiten gerecht wird, entworfen werden.

Die Entwicklung muss nach „Caritas in veritate“ nicht nur den ganzen Menschen, sondern auch alle Menschen umfassen. Reale Globalisierung läuft ja sehr oft als Ausschluss von Gruppen, Völkern, ja ganzen Kontinenten ab. Dagegen verwehrt sich der Papst aufs Schärfste. Liebe in Wahrheit bedeutet, die verschiedensten Entwicklungshindernisse zu analysieren und ernst zu nehmen und auf diesem Grund der Wahrnehmung der Wirklichkeit in der Liebe nach solidarischen Modellen gemeinsamer Entwicklung zu suchen.

Dies kann nach dem Papst dadurch geschehen, dass Entwicklung als Berufung des Menschen betrachtet wird. Damit wird Entwicklung nicht zu etwas, „was dazukommt“, sondern Entwicklung entspricht dem „Werdewesen“ Mensch wie auch der Prozessgestalt der Menschheit. Hier zeigt sich auch die Verantwortung der Kirche: den Menschen auf seinem Weg, mehr Mensch zu werden, zu begleiten und dabei die Perspektiven eines solidarischen, gelungenen Lebens für alle einzumahnen.

 

Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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