Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 075
Fragen um den Lebensanfang

Christen glauben, dass die absolut zu schützende Menschenwürde von keinen Bedingungen abhängig gemacht werden darf. | Foto: Fotolia
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Wann beginnt das Leben?

Von der Befruchtung an zeichnet sich eine Eizelle durch die Potenzialität, sich als menschliche Person zu entwickeln, und Kontinuität, sich als eben dieses Individuum zu entwickeln, aus. Wenn wir das Menschenrecht auf „Schutz des Lebens“ schon der befruchteten Eizelle im Mutterleib zubilligen, so beruht das nicht auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf moralischen Vereinbarungen unserer Gesellschaft, die auf klassisch-metaphysische Traditionen anknüpft. In diesem Kontext antwortet die Moraltheologie auf die Fragen nach dem Beginn des personalen Lebens nicht nur „biologisch“ mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, bei der sich das Genom als Grundlage der Individualität bildet, sondern person-metaphysisch mit der Fähigkeit zum Subjektsein an sich.

Unabhängig von den aktuell verwirklichten Eigenschaften wird jeder Mensch moraltheologisch als individuelle Person mit unveräußerlicher Würde betrachtet und jede Form von Abtreibung eines Fötus ebenso wie jede Form aktiver Euthanasie – auch auf Verlangen – als Tötung eines Menschen gesehen.

Die moderne Humanbiologie, die das Befruchtungsgeschehen als Abfolge kontinuierlich aufeinanderfolgender Schritte definiert, bei der einige Stunden bis zur abgeschlossenen Fusion der Zellkerne vergehen (= präembryonales Stadium: individueller genetischer Code ist noch nicht vorhanden), legt den Beginn menschlichen Lebens eindeutig an das Ende der Befruchtungskaskade, wenn sich aus Blastozyste schließlich die Zygote mit differenzierten Zellformen entwickelt und in der Gebärmutter eingenistet hat. Die Frage nach dem Beginn personalen Lebens bleibt damit aber unbeantwortet, weil „Person“ bzw. „Personalität“ philosophisch-theologische Begriffe sind, die nur im oben beschriebenen Kontext moralischer Vereinbarungen ihre Sinnhaftigkeit entfalten.

Diese Differenz zwischen ethisch-moralischer und naturwissenschaftlicher Argumentation hat Konsequenzen für die juristische Beurteilung insbesondere der Fragen um den Lebensanfang. Wenn der strafrechtliche Schutz des Lebens erst mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter der Frau (zwischen dem 12. und 14. Tag) beginnt, so liefert dies den Rechtsgrund für zahlreiche Manipulationen an menschlichen Embryonen, die juristisch nicht unter das Abtreibungsverbot fallen.

Unsere grundsätzliche Einstellung zum Leben ist gefragt: Bejahen wir dieses Leben in seiner Unverfügbarkeit, als anvertrautes Gut, das wir auch in seinen unvorhergesehenen Beeinträchtigungen anzunehmen bereit sind, oder neigen wir zu einer Machbarkeitsideologie, die sich nach einem Recht auf Kinder mit beschädigungsfreier Erstausstattung sehnt? Menschliches Leben muss unserer Machbarkeit entzogen bleiben. Christen glauben, dass die absolut zu schützende Menschenwürde von keinen Bedingungen abhängig gemacht werden darf und menschliches Leben, von Gott ins Dasein gerufen, vom Moment der Zeugung bis zu seinem Tod Menschsein ist. Da der Embryo von allen Menschen den schwächsten Status hat, bedarf er somit des höchstmöglichen Schutzes der Rechtsordnung.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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