Zeitdiagnose 2019 | Teil 03
Europa – eine Bestandsaufnahme

Macht die EU Lust auf Freudensprünge – und was sind ihre Rettungsschirme für Länder und Menschen? | Foto:  kallejipp/photocase.com
  • Macht die EU Lust auf Freudensprünge – und was sind ihre Rettungsschirme für Länder und Menschen?
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Sind wir realistisch: Der europäische Motor hat ordentlich zu stottern begonnen.

Drei Blitzlichter:

Erstens: Beim Brexit hat es Theresa May im britischen Unterhaus mehr als deutlich gesagt: „Die Welt weiß, was dieses Haus nicht will. Heute müssen wir eine nachdrückliche Botschaft dazu senden, was wir wollen.“

Zweitens: In der Frage der Bevorzugung bundesdeutscher Bürger bei der Autobahnmaut hat Berlin zumindest einen Teilerfolg erzielen können. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes sieht in den Vorschlägen der deutschen Regierung keine Diskriminierung.

Drittens: Der Streit zwischen Paris und Rom (Stichworte: Gelbwesten, Flüchtlingsschiff „Aquarius“ und Leonardo da Vinci) hat, von der österreichischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, dazu geführt, dass das EU-Gründungsmitglied Frankreich seinen Botschafter aus dem EU-Gründungsmitglied Italien zurückbeordert hat; immerhin eine der schärfsten möglichen diplomatischen Maßnahmen.

Denken wir alle drei Themen zu Ende.

Im neu gewählten EU-Parlament werden ohne (und vor allem auch im Falle eines späteren) Brexit (auch das steht ja zur Diskussion) weiterhin – mutmaßlich europakritische – britische Abgeordnete sitzen. Jedes Land wird seine Steuerkreativität insbesondere für eine vermeintlich legitime Bevorzugung der „eigenen“ Bevölkerung nutzen. Und auf die Folgen einer Politik, in der etwa Italiens Salvini seinen Nachbarn ausrichtet: „Ich bin von ganzem Herzen auf Seiten der armen Franzosen, die eine wirklich miese Regierung haben, einen miesen Präsidenten. Macron quasselt zu viel und macht zu wenig“ muss hier nicht weiter eingegangen werden.

Der Verlust des Ganzen.

Noch spannender als der Blick auf die zu erwartenden Konsequenzen sind die Rahmenbedingungen dieser Entwicklung.

Was zuallererst auffällt, ist, dass es zum einen nur mehr um staatliche Egoismen geht, zum anderen aber auch Haltungen wie „übergeordnete nationale Interessen“ nicht mehr zu geben scheint.

Was noch vor wenigen Jahren selbstverständlich war, dass politische Parteien eines Landes zumindest nach außen hin mit einer Stimme gesprochen haben, ist Geschichte.

Stichwort Brexit: Es ist ja noch irgendwie nachvollziehbar, wenn beide Verhandlungspartner – das Vereinigte Königreich und die EU – ein aus eigener Sicht möglichst gutes Ergebnis erzielen wollen. Doch wenn in London der Oppositionsführer Labour-Chef Jeremy Corbyn, genau wissend um die Realisierungsunmöglichkeit seiner völlig überzogenen Forderungen, täglich mehr Teil des Problems statt Teil der Lösung wird und für seinen etwaigen innenpolitischen Erfolg ein Scheitern des Brexit in Kauf nimmt, geht es nicht mehr nur um Europa, da wird an den Grundfesten der Demokratie gerüttelt. Was jeder Kommunikationsexperte ganz genau weiß, scheint dieser Politik inzwischen völlig fremd geworden zu sein: Kommunikation kann nur dort gelingen, wo es ein Mindestmaß an wechselseitigem Einverständnis gibt.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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