Zur Bischofssynode: Die Kirchen im Nahen Osten | Teil 02
Die Schatten der Vergangenheit

 Türkei

Audienz für Kirchenvertreter aus dem Nahen Osten. Ein paar kurze Worte spricht der Heilige Vater mit jedem. Noch drei Bischöfe sind vor mir, dann bin ich an der Reihe. Doch dann stehe ich länger vor ihm, als vom Protokoll vorgesehen. Der Papst möchte von mir einen ersten Eindruck darüber hören, wie seine Türkeireise bei den orthodoxen Kirchen aufgenommen wurde. Das ist ihm wichtig.

Positive Wirkung. 
Nur zwei Wochen nach dem Papstbesuch begleitete ich 2006 eine Pro- Oriente-Delegation mit Erzbischof Alois Kothgasser und Bischof Manfred Scheuer zum Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Bartholomäus I. ist das geistliche Oberhaupt der Gesamtorthodoxie. Ihn hatte Benedikt XVI. am Beginn seiner Reise getroffen. Und er zeigte sich nun merklich erfreut, als ich ihm berichtete, dass uns der Ökumenische Patriarch von der positiven Wirkung seines Besuches für alle Kirchen im Land erzählte. Eine Einschätzung, die uns später auch der armenische Patriarch in Konstantinopel bestätigen wird. Aber die Schwierigkeiten, die die Christen in der Türkei haben, wurden uns ebenso mitgeteilt.

Beschränkt. 
Laut Verfassung ist die Türkei ein laizistischer Staat, in dem Religion und Staat getrennt sind. Auch ist trotz der Regierungsbeteiligung islamistischer Parteien durch die Verhandlungen mit der Europäischen Union eine gewisse Öffnung gegenüber westlichen demokratischen Traditionen zu erkennen. Aber zur vollen Religionsfreiheit und Umsetzung der Menschenrechte ist noch eine Strecke des Weges zu gehen. Nach wie vor sind in der Türkei nur die armenische und die griechisch-orthodoxe Kirche anerkannt, und das mit vielen Einschränkungen. Die katholische und die syrisch-orthodoxe Kirche haben überhaupt keinen Rechtsstatus. Auch gilt der Ökumenische Patriarch - trotz seiner weltweiten Verantwortung für die Gesamtorthodoxie - für die Türkei lediglich als Kirchenoberhaupt der rund 2000 griechisch-orthodoxen Christen im Land. "Eines unserer größten Probleme ist das seit 1971 bestehende Verbot, theologischen Nachwuchs auszubilden", erzählt uns der Ökumenische Patriarch: "Die theologische Hochschule auf Chalki bleibt geschlossen, und zugleich ist es verboten, ausländische Geistliche anzustellen."

Alte Lasten. 
Auch lastet die Vergangenheit schwer auf dem Verhältnis zwischen der Türkei und den Christen. Das im Ersten Weltkrieg zerfallende Osmanische Reich ging mit furchtbaren Methoden gegen jegliche Art von Unabhängigkeitsbewegung vor. Bekannt ist die systematische Vernichtung und Vertreibung von etwa 1,5 Millionen Armeniern durch Massaker und Todesmärsche 1914/15. Zugleich fanden auch mehr als 180.000 syro-aramäische Christen in der Südosttürkei, im Gebiet des Tur Abdin, den Tod. Die Verhandlungen um den Vertrag von Lausanne (1923) führten überdies zu einem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechen und Türken: 1,1 Millionen Griechisch-Orthodoxe mussten aus Anatolien und Istanbul nach Griechenland emigrieren, und etwa 380.000 Türken kamen in die Türkei.

Viel zu tun.
Die seit einigen Jahren von der Türkei unternommenen gesetzgeberischen Reformen im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich tragen auch zu einer Verbesserung der Lage der Christen bei. Vieles bleibt aber noch zu tun, wie auch die EU wiederholt festgestellt hat. So etwa können viele alte Kirchen, wie etwa die Paulus-Kirche in Tarsus, von den Christen nur mit Sondergenehmigungen für Gottesdienste benützt werden. Und eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit und des an Christen begangenen Unrechts stößt immer noch auf massiven Widerstand.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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