Ordensleben in der Steiermark | Teil 11
Die Bedürfnisse der Zeit erkennen

Die Schule der Ursulinen in der Grazer Leonhardstraße wurde im Jahr 1900 bezogen und eröffnet. | Foto: Jokesch
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  • Die Schule der Ursulinen in der Grazer Leonhardstraße wurde im Jahr 1900 bezogen und eröffnet.
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Aut matrimonium, aut mures.“ – Heirat oder ein Leben hinter Klostermauern. Diese Alternative stellte sich für junge Frauen im 16. Jahrhundert. Damals lebte in der oberitalienischen Provinzstadt Brescia eine kleine, zerbrechlich wirkende Frau. Angela Merici zeichnete eine besondere Aufmerksamkeit und Hellsichtigkeit für die Bedürfnisse ihrer Zeit aus. Sie suchte nach einem „dritten Weg“, auf dem junge Frauen unverheiratet bleiben und ein selbstbestimmtes religiöses Leben führen können, zugleich aber ohne die Abgeschiedenheit des Klosters im Alltag stehen, ihrer Berufsarbeit nachgehen und dabei den evangelischen Räten zu Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam folgen. Nach einem langen Weg des Suchens und Reifen-Lassens ihrer Idee gründete sie 1535 zusammen mit 28 jungen Frauen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten die „Gesellschaft der heiligen Ursula“.

Ihr Grundsatz „Seid wachsam mit weitem und sehnsüchtigem Herzen“ prägt bis heute das Charisma der Ursulinen in aller Welt. In ihren Schriften zeigt sich der Weitblick der hl. Angela, die schon zu Lebzeiten (1475–1540) als faszinierende Persönlichkeit galt und in Brescia sehr verehrt wurde, sich aber eine positiv-kritische Distanz sowohl zur offiziellen Kirche als auch zum gesellschaftlichen Leben der Stadt bewahrte. Menschen aller Schichten suchten bei ihr Rat und Hilfe. Trotz ihres radikal einfachen Lebensstils begegnete sie den ihr Anvertrauten mit unendlicher Milde und Geduld. Ihr wacher, offener Geist lebte aus einem tiefen Gottvertrauen: „Immer sei eure erste Zuflucht zu den Füßen Jesu Christi!“ Klar benennt sie die Probleme ihrer Zeit und erkennt, dass Bildung und die Stärkung der Persönlichkeit Frauen neue Wege eröffnen konnten, gebunden an eine Gemeinschaft und doch mitten in der Welt lebend – für damals eine revolutionäre Idee.

Über vier Jahrhunderte stand so an den Werken der Ursulinen die Bildung und Begleitung junger Frauen im Mittelpunkt. Gemäß der Weisung der hl. Angela, sich stets an den Anforderungen der jeweiligen Zeit zu orientieren, wurden die meisten Ursulinen-Schulen mittlerweile auch für Buben geöffnet. In Graz versucht man, den Blick auf die Kinder und Jugendlichen in ihrer Gesamtheit zu richten – ein nicht immer einfaches Unterfangen, da die pädagogischen Herausforderungen zusehends größer werden. Zu den vier Schwestern, die noch in der Schule tätig sind, kommen 150 Lehrkräfte, die insgesamt ca. 1200 Kinder und Jugendliche unterrichten.

Das Charisma der Ordensgründerin wird allen, die bei den Ursulinen ihre Unterrichts­tätigkeit beginnen, besonders ans Herz gelegt, damit in der Pädagogik die Idee Angelas greifbar werden kann. In einem ihrer Gedenkworte mahnt sie die Verantwortlichen ihrer Gemeinschaft, alle gleich zu behandeln, keinen den anderen vorzuziehen, „denn ihr wisst nicht, was Gott aus ihnen machen 
will.“

Wachsam mit weitem und sehnsüchtigem Herzen versucht die Schwesterngemeinschaft auch heute zu leben, in einer Zeit, in der religiös-spirituelles Dasein eher eine Rand-
erscheinung des gesellschaftlichen Lebens ist. Doch die Sehnsucht nach Gott, nach einem Mehrwert im Leben, einem größeren Sinnzusammenhang hat in der modernen, pluralistischen Welt genauso ihren Platz.

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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