Werke der Barmherzigkeit - 2007/2008 | Teil 03
Nackte bekleiden

Foto: Anna Sirotina-Fotolia.com

 

Bei den Werken der Barmherzigkeit ist wohl der Ur-Sinn des Wortes gemeint; denn es geht darum, dass Nackte, also Menschen ohne Kleidung, bekleidet werden. Wer so handelt, dem ist Gottes Himmelreich sicher, so sagt Jesus. Dabei ist es nicht so wichtig, in welchem Maß die Nackten nackt sind, sondern dass es sich um Bedürftigkeit und Armut handelt. Da spielt es wohl auch eine wichtige Rolle, dass diese Art von Armut, nämlich die Nacktheit, eine sichtbare, öffentliche Armut ist. Hunger und Durst sind nicht so öffentlich sichtbar, aber wenn da einer ist, der vor lauter Armut keine Kleidung hat: Das merkt man natürlich! Das heißt aber auch: Wenn man einen Menschen ohne Kleidung oder in sehr ärmlicher Kleidung sieht, kann man sich nicht damit herausreden, man habe es ja nicht sehen können!

Nun denkt man bei Nacktheit vor allem an die Menschen in den armen, heißen Regionen der Erde. So dachte auch der Pfarrer, der seine Gemeinde dazu anhielt, Höschen für die armen, nackten Kinder in Afrika zu spenden. Gut gemeint! Aber wahrscheinlich haben die Kinder in den Armutsgebieten andere, wichtigere Bedürfnisse als ausgerechnet kleine Hosen. Denn Kleidung hat immer auch einen kulturellen Wert, und der ist in den Ländern der südlichen Erd-Halbkugel anders als bei uns Nordlichtern.

Es kann sein, dass bei uns der Blick für die Kleidung der armen Menschen etwas gestört ist; es ist gar nicht selbstverständlich, dass wir die Armut eines Menschen an seiner Kleidung bemerken. Ich habe ein paar Mal eine Kleiderkammer der Caritas besucht; ich hatte geglaubt, da käme bestimmt niemand hin, denn – so meinte ich – Kleidung hätten doch alle Leute. Ich habe dort echte Armut gesehen: die Frau, die, als sie ihren Mantel auszog, buchstäblich in Lumpen dastand; die kleinen Kinder einer Aussiedler-Familie, die so angezogen waren, als ob sie die Kleidung ihres Großvaters leicht verändert nachtragen müssten; die Frau, die altersgebeugt so unmöglich angezogen war, dass man fast meinte, sie habe sich für den Karneval hergerichtet.

Offensichtlich ist der Mangel an brauchbarer Kleidung ein uraltes Problem. Denn Jesus hätte dieses Beispiel tätiger Nächstenliebe sicher nicht gewählt, wenn es das Problem des Mangels an passender Kleidung nicht gegeben hätte. Jesus spricht ja einmal von den „Lilien des Feldes“, die schöner gekleidet sind als der König Salomo (Mt 6,28f), und der hatte wirklich keinen Mangel an kostbaren Kleidern. Damit will Jesus wohl sagen, dass schlichte Schönheit wertvoller ist als Pracht und Prunk; nicht die Produkte der ausgefallensten Modeströmungen zeigen wirkliche Schönheit, sondern Schönheit hat etwas mit Charakter und Menschenwürde zu tun.

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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