Leidenschaften und Gefährdungen | Teil 01
Aus den Abgründen meiner Seele

In der Tiefe fließt das Wasser des Lebens – wie hier in einem uralten Brunnen, der in der Heimatstadt Jesu – in Nazaret – frei-gelegt wurde. | Foto: KIZ/MF
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Hochmut oder Hybris

Bei den frühen Mönchen kommt der Hochmut am Ende der neun Gefährdungen des Menschen. Die Liste der sieben Todsünden fängt mit der Hybris an. Was meint die Hybris? Es ist die Weigerung, sich in seiner ganzen Wirklichkeit anzunehmen. Ich habe ein so hohes Idealbild von mir, dass ich alles, was diesem Idealbild widerspricht, ausklammere. Ich bin blind für die blinden Flecken, für das, was hinter der Fassade steckt. Hochmut oder Hybris ist also weit gefährlicher als die Arroganz, mit der jemand nach außen hin auftritt, oder als der Stolz. Das deutsche Wort Stolz kann ja durchaus eine positive Bedeutung haben. Ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe. Ich bin stolz auf meine Eltern, auf meine Gemeinschaft, auf meine Familie. Das ist ein gutes Gefühl

Blinde Flecken.
Hochmut ist jedoch die Weigerung, mich in meiner Menschlichkeit anzunehmen. Der Hochmut tut mir nicht gut. Denn er spaltet mich. Ich lebe ständig in der Angst, dass die anderen hinter meine Fassade schauen und all das in mir entdecken, was nicht so positiv ist. Jesus heilt den Blindgeborenen (Joh 9,1–6), indem er auf den Boden (humus) spuckt, einen Brei aus Dreck macht und ihn dem Blinden in die Augen schmiert. Er möchte ihm damit gleichsam sagen: „Du bist von der Erde genommen. Söhne dich mit deiner Erdhaftigkeit, mit deiner Menschlichkeit aus. In dir ist nicht nur das Reine. In dir ist auch Dreck. Auch damit musst du dich aussöhnen.“ Und dann befiehlt Jesus dem Blinden, er solle sich am Teich Schiloach waschen. Schiloach heißt der Gesandte. Er steht also für Jesus selbst. Man könnte sagen: In der Begegnung mit Jesus soll er fähig werden, sich so anzuschauen, wie er ist. Da verlieren seine blinden Flecken das Bedrohliche. Sie dürfen sein. Sie sind genauso angenommen von Gott wie seine hellen Seiten

Mut der Demut. 
Die Heilung der Hybris ist also die Demut. Demut (humilitas) ist der Mut, hinabzusteigen in die Abgründe meiner Seele, in die Schattenseiten, die mein Menschsein verdunkeln. Ich nehme mich an mit meiner Erdhaftigkeit und mit all den blinden Flecken, vor denen ich sonst die Augen verschließe.
C. G. Jung, der Schweizer Therapeut, versteht die Hybris als Inflation. Ich blähe mich mit Gedanken und Vorstellungen auf, die mir nicht entsprechen. Ich übersteige mein Maß. Ich werde maßlos in meinem Selbstverständnis. Und er sieht die Gefahr der Hybris darin, dass ich mich mit archetypischen Bildern identifiziere und auf diese Weise blind werde für meine Bedürfnisse, die ich dann unter dem Deckmantel des archetypischen Bildes auslebe.
Wenn ich mich zum Beispiel mit dem Archetyp des Propheten identifiziere, wenn ich meine, ich wäre der Einzige, der sich heute die Wahrheit zu sagen traut, der sich mit allen Leuten anlegt, dann merke ich gar nicht, wie ich mein Machtbedürfnis ausagiere und wie ich mich hinter einer Fassade der Rechthaberei verstecke.

Übergriff und Missbrauch. 
Oder wenn ich mich mit dem archetypischen Bild des Heilers identifiziere, wenn ich also glaube, ich könnte die Menschen heilen, die mich um Hilfe bitten, dann merke ich gar nicht, wie ich mein eigenes Bedürfnis nach Nähe ausagiere. Das unbewusst ausgelebte Bedürfnis tut dem anderen aber nicht gut. Es führt zu dem Phänomen, das wir heute bei vielen Berufsgruppen beklagen: dem Phänomen der Übergriffigkeit oder des sexuellen, emotionalen oder geistlichen Missbrauchs.

Hinab zur Menschlichkeit. 
Die Heilung des Hochmuts besteht darin, mich von meinen Idealbildern zu verabschieden und hinabzusteigen in die eigene Menschlichkeit. Dabei kann es eine Hilfe sein, die eigene Wahrheit Christus hinzuhalten und mit Christus gemeinsam hinabzusteigen in die Tiefen meines Menschseins, das milde Licht Christi auf meine Schattenseiten zu lenken, damit ich fähig werde, mich mit allem, was in mir ist, anzunehmen. Wenn ich mich annehme, wie ich bin, dann habe ich es nicht nötig, eine Fassade aufzubauen und mich vor anderen als perfekt und fehlerlos zu gebärden.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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