Mutworte - Anselm Grün
Über Schattenseiten zu reden befreit

Bin ich ein Sünder? Was heißt Sünde? Das griechische Wort für Sünde, „hamartia“, heißt: das Ziel verfehlen. Sünde bedeutet also, an sich und seiner Wahrheit vorbeizuleben …
Die Beichte kann sicher ein guter Weg sein, von seinen Schuldgefühlen frei zu werden. C. G. Jung meint: Wenn jemand schwere Schuld auf sich lädt, dann braucht er mehr als ein persönliches Wort, er braucht ein Ritual, das bis in die Tiefen des Unbewussten hinein wirkt. Das Ritual der Beichte löst die unbewussten Widerstände gegen die Vergebung auf.
Heilige haben sich auch als Sünder gefühlt. Je näher wir Gott kommen, desto klarer erkennen wir auch das Dunkle in uns, unsere Schattenseiten, unsere Sünden, dass wir an dem vorbeileben, was wir eigentlich von Gott her sind. Diese Erfahrung soll uns aber nicht mit einem ständigen schlechten Gewissen belasten, sondern in die Demut führen … Ja, ich bin ein Sünder. Aber ich beschuldige mich nicht, sondern ich trete mit meiner ganzen Wahrheit, auch mit meiner Sünde, mit meiner Schuld vor Gott und erfahre, dass seine Liebe mich bedingungslos annimmt.
Das ist eine befreiende Erfahrung. Wer die Sünde leugnet, der muss sich möglicherweise ständig beweisen, steht unter Druck, anderen zu zeigen, wie toll er ist. Doch C. G. Jung meint, es gehöre zum Wesen der Menschlichkeit, über seine Schwächen und Schattenseiten zu sprechen. Das befreit von dem Zwang, sich wie Gott gebärden zu müssen, unfehlbar und perfekt zu sein.

Anselm Grün
Aus: „Wie hältst Du’s mit der Religion? 75 Fragen an Anselm Grün.“ Vier-Türme-Verlag. P. Anselm Grün ist Benediktiner in Bayer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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