Krieg in der Ukraine
Weg von Ideologie!

Thomas Mark Németh (links) ist seit 2014 Diakon und seit 2017 Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. In Wien lehrt er Theologie des christlichen Ostens. 
Er wünscht sich eine kritische Theologie, die nicht politischen und nationalen Mythen, sondern dem Evangelium folgt. | Foto: Uni Würzburg
  • Thomas Mark Németh (links) ist seit 2014 Diakon und seit 2017 Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. In Wien lehrt er Theologie des christlichen Ostens.
    Er wünscht sich eine kritische Theologie, die nicht politischen und nationalen Mythen, sondern dem Evangelium folgt.
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Ein Blick in die Kirchen des Landes und in die Rolle der russischen Orthodoxie.

Ich habe in den letzten zwei Wochen sehr wenig geschlafen, entschuldigt sich Prof. Thomas Mark Németh, als er eine Frage nicht sofort akustisch versteht. Sein Vater ist 1956 aus Ungarn geflohen, als die Sowjets den dortigen Aufstand niederwalzten. Seine Frau ist Ukrainerin aus Lemberg (Lviv). 2017 wurde er zum Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche geweiht. An der Universität Wien ist er nun Professor für Theologie des christlichen Ostens. Im Grazer Universitätszentrum Theologie begrüßte ihn am 14. März Dekan Pablo Argárate als Vortragenden, der den Krieg in der Ukraine im Blick auf die Kirchen beleuchtete.

Eine gefährliche Geschichtsbetrachtung eint Wladimir Putin und die russische Orthodoxie. Russen, Ukrainer und Weißrussen seien ein einziges Volk. Die gesamte "Rus" sei ein heiliger Raum, den man verteidigen muss. Nach dem Kommunismus habe Putin eine mythologisch aufgeladene postsowjetische Religiosität in seine Sprache mit aufgenommen. Patriarch Kyrill von Moskau, bei dem Kritik an der Waffengewalt und Blick auf die Opfer schmerzlich vermisst werden, predigt darüber, dass eine Art Kampf der Kulturen stattfinde, dass traditionelle Werte gegen westliche Vergnügungssucht, sexuelle Freizügigkeit und individualistisches Freiheitsverständnis verteidigt werden müssten.

Die russisch-orthodoxe Kirchenspitze vertritt zu sehr eine politische Religion und zeigt wenig Bereitschaft zur Selbstreflexion, kritisiert Németh. Sie sei Trägerin einer nationalen Ideologie und kooperiere zu eng mit dem Staat. Dabei führe nicht das Christentum als solches zu Gewalt und Krieg, sondern eine defizitäre Form davon. Nicht alle russischen Orthodoxen dächten wie ihr Patriarch. Es fehle auch an religiöser Substanz, nur wenige Prozent kämen zum Gottesdienst.

Die Ukrainer seien ein religiöses Volk, etwa 70 Prozent glauben an Gott. 13 Prozent gehören zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, zu der 12.000 Gemeinden zählen. 24 Prozent und 7000 Gemeinden gehören zur eigenständigen („autokephalen“) ukrainisch-orthodoxen Kirche mit dem Metropoliten von Kiew als Oberhaupt. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hatte diese Eigenständigkeit anerkannt, weshalb das Moskauer Patriarchat ihm die Kirchengemeinschaft kündigte. Auch weitere 22 Prozent bezeichnen sich als orthodox.

Die vor allem in der Westukraine beheimatete griechisch-katholische Kirche lebt nach den Riten der Orthodoxen, steht aber in voller Kirchengemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche. Ihr gehören 9 Prozent an, der römisch-katholischen Kirche 1 Prozent. 1,5 Prozent gehören auch zu reformatorischen Kirchen. 9 Prozent sind „bloß christlich“, 19 Prozent konfessionslos.

Für die Ökumene wünscht sich Németh, dass die orthodoxe Kirche der Ukraine nicht ignoriert wird und dass die vatikanische Diplomatie es nicht versäumt, klar den Namen des Aggressors zu nennen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer würden gerade durch den Krieg zu einer Nation geeint. Sie bräuchten keine bloß gutgemeinten Ratschläge aus dem Westen. Es brauche Menschen, die verstehen, was vorgeht, und die auch den gesunden Kräften in Russland helfen, eine humane Zivilisation aufzubauen.

Herbert Messner

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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