Weihnachten 2021
Festbeilage

8Bilder

Herbergsuche 2021

Das Weihnachtsfest führt uns an verschiedene Orte … zum Weg von Maria und Josef nach Betlehem … zu Flüchtlingen auf der Suche nach Herberge … zur Krippe.
Diese SONNTAGSBLATT_Festbeilage nimmt uns mit auf eine „Herbergsuche 2021“.
Der durchgehende Text stammt von der Theologin Ida Jaritz. Er trägt den Titel „Jesus in Moria oder wie wir das aushalten“ und ist ein flammender Appell, das Schicksal geflohener Menschen als Herbergsuche wahrzunehmen und nicht auf die Seite zu schieben.
Als Illustrationen präsentieren wir Weihnachtskartenentwürfe von SchülerInnen des Bischöflichen Gymnasiums in Graz. Auf Einladung von Bischof Wilhelm Krautwaschl beschäftigten sich die BE-Gruppen der 6. und 7. Klassen unter der Leitung der Professorinnen Mag. Beate Faber und Mag. Brigitte Schlager mit dem Thema der Weihnacht und setzten es in unterschiedlichen Techniken um. Der Vergleich der Flüchtlinge im Boot auf Herbergsuche hat zwei Schülerinnen auf die Idee gebracht, das Boot zur Krippe zu machen.
Die SONNTAGSBLATT_Festbeilage möge anregen, Menschen bei ihrer „Herbergsuche 2021“ wahrzunehmen, zu begleiten und zu stärken.
Im Blick auf das Kind in der Krippe möge wachgeküsst werden, was in allen schon von jeher schlummert: das Göttliche im Menschen.

Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge
hast du ein Bollwerk errichtet /
wegen deiner Gegner,
um zum Einhalten zu bringen Feind und Rächer.
Ps 8,3

Die meisten kennen die Geschichte: Eine junge Frau, die nach unserem heutigen Ermessen mehr Mädchen ist, wird schwanger. Gut ausgebildet, behütet und eigentlich von allen geliebt, wächst dem Vorzeigeteenager plötzlich ein dicker Bauch; der perfekte Skandal in jeder kleingeistigen Gesellschaft. Weit entfernt von einer Volljährigkeit oder Mündigkeit, stellt es nicht nur ihre eigene Welt, sondern auch die der stringenten Gesellschaft auf den Kopf. Sie hat Angst – verständlicher Weise –
Angst, was nun mir ihr geschehen wird. Denn auch wenn es ihr Körper und letztlich ihre Entscheidung war, mutig ist nur, wer auch die Angst und den Zweifel kennt, und dieses Mädchen weiß, was auf dem Spiel steht. Abgesehen von Ansehen, Reputation und der ganz alltäglichen Sicherheit, ist es ihr Leben – und das ihres ungeborenen Kindes.

Niemand erzählte je
mit leuchtenderen Augen
von Gott und Mensch
als der Mann aus Galiläa.
In Jesus wurde Gott anschaulich.
Andreas Knapp

Ohne einen Sensus für Unfassliches
wäre der Mensch unsensibel
für Unermessliches.
Nur wenn das Göttliche,
und sei es als Leerstelle,
im Menschen wohnt,
kann es ihn anrühren.
Andreas Knapp

Wie so viele Mädchen in und rund um ihr Alter hat auch sie einen Freund. Sie liebt ihn nicht nur, weil er beliebt ist, seine Ausbildung abschließen wird und in der Nachbarschaft wohnt. Es ist die klassische Liebesgeschichte, aber ihm das mit der Schwangerschaft zu erzählen ist kein leichter Schritt. Wie erklärt man dem Jungen, den man liebt, dass man ein Kind bekommt, das aber nicht von ihm ist? Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass er reißaus nehmen wird, sie verlässt, denunziert, vor anderen schlechtmachen wird und seinem eigenen Ärger, seiner tiefen Verletzung ob ihres Vertrauensbruchs laut Luft machen wird. Sie wird Sätze sagen wie: „Aber ich liebe dich!“ und „Bitte glaube mir!“
Aber ob er sie (er)hören wird?

Steh auf, klage bei Nacht, /
zu jeder Nachtwache Anfang!
Schütte aus wie Wasser dein Herz /
vor dem Angesicht des Herrn!
Erhebe zu ihm die Hände /
für deiner Kinder Leben,
die vor Hunger verschmachten /
an den Ecken aller Straßen!
Klgl 2,19

Ihr alle seid Kinder des Lichts und Kinder des Tages.
Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis.
1 Thess 5,5

Träume plagen sie in den ersten Tagen und Wochen ihrer Schwangerschaft, mindes-tens so sehr wie die Sorge, was aus ihr werden wird. Aus ihr und dem Kind, das sie sich entschieden hat zu behalten. „Kinder sind ein Segen“, sagen die Leute auf der Straße, und sie hat ihnen schon geglaubt, da war sie selbst noch ein Kind. Auch wenn ihre eigenen Eltern sich ob der Schande, die sie nun über die Familie bringt, nicht mehr so sicher zu sein scheinen. Warum sind Kinder ein Segen, nur ihres soll es nicht sein? Und warum ist sie kein Segen mehr, nur weil sie etwas „falsch“ gemacht hat?
Schwangerschaftsabbruch, Abtreibung, Engelmacherei – den Zustand einer Schwangerschaft zu bekämpfen, zu stoppen, zu beenden, hat viele Namen und eine Geschichte, die so weit zurück geht wie die Menschheit selbst. Für das schwangere, zweifelnde Mädchen unserer Geschichte aber ist das keine Option. Nicht weil es nicht möglich wäre, sondern weil es ihr unmöglich ist. „Mein Kind ist ein Segen“, flüstert sie sich selbst zu und umklammert ihre Mitte. Die Engelmacherin wird ihr und der Welt diesen Segen nicht nehmen. Sie findet Halt – am scheinbaren Ende ihrer Welt.

Jemanden lieben meint
ein Gegenüber
beglückend wahrnehmen,
annehmen und sein Wohl wollen.
Liebe ist freudige Zustimmung
zur Wirklichkeit des anderen.
Dieses freund-liche Bejahen
kann man auch segnen nennen:
bene dicere,
gut-heißen,
als gut erachten,
jemandem gut zureden.

Andreas Knapp

Selig, die Frieden stiften; /
denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Mt 5,9


Auch den Freund plagen Träume. Viele, wirre Träume. Das strategisch Klügste für ihn wäre, sich von ihr zu trennen. Er will es auch, immerhin hat sie ihn betrogen, belogen, und die Schmach und Scham, die er für ihre Fehler erleben wird, die er sein ganzes Leben wird aushalten müssen – kann das die Liebe zu einem Mädchen tatsächlich aufwiegen? Kann er ein Kind erziehen, das nicht sein eigenes ist? Kann er es im Arm halten und lieben und annehmen? Ein Kuckuckskind, die Frucht eines anderen?
Gegen jede rationale Vernunft und durch eine unerklärliche Güte und Kraft kann er es. „Wir werden das schon schaffen“, sagt er vielleicht oder „Wir werden das Kind schon schaukeln.“ Die Menschen rund um ihn herum können seine Entscheidung nicht verstehen. „Ist der dumm?“, fragen sie sich – nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand.
Die beiden, das Mädchen und ihr Freund, werden belächelt. Schlimmer noch, sie werden verhöhnt und ausgegrenzt. Es ist leicht, auf jemanden zu treten, der schon am Boden liegt. Für Barmherzigkeit fehlt manchen Menschen einfach das Herz. Aber bald schon gibt es einen neuen Skandal, ein neues Gerücht, an dem man sich ergötzen kann, und vor allem: ein neues Problem. Sie müssen fliehen, aus ihrer Heimat in ein anderes Land gehen – alle. Nicht nur das schwangere Teenager-Paar. Das Leben wird dadurch nicht leichter.

Durch seinen ewigen Hunger
bleibt der Mensch auf Ewiges bezogen.
Durch diese Rück-bindung
die im Begriff der Re-ligion
zum Ausdruck kommt,
gelangt der Mensch nie in den
Ruhestand seiner selbst.
Andreas Knapp

Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein,
ein Spiel der Wellen, geschaukelt und getrieben
von jedem Widerstreit der Lehrmeinungen,
im Würfelspiel der Menschen,
in Verschlagenheit, die in die Irre führt.
Eph 4,14

Irgendwie und irgendwann, durch große Anstrengung hindurch und aller Gefahr zum Trotz, schaffen Maria und Josef den langen, beschwerlichen und gefährlichen Weg nach Europa; nicht aber in die Herzen der Menschen. Keine Tür geht auf, kein Hospital nimmt sich ihrer an, kein Land öffnet die Grenzen – nicht mal ein Stall wird für sie freigemacht. Am Ende ist es nur ein dreckiges, löchriges Zelt in einem überfüllten Lager in Griechenland. Eine ungastliche Stätte, in der es mehr Krankheiten als Ratten gibt – und Ratten gibt es viele. Kein fließendes Wasser, kein wärmender Esel, keine weisen Männer, die Geschenke bringen, nur weiße Männer, die etwas von Hilfe vor Ort faseln, die aber nicht ankommt. Weil das mit der Fernstenliebe noch schwieriger ist als das mit der Nächstenliebe? Die Realität ist Hunger, Armut, Verzweiflung, Gewalt und ein Himmel, an dem man die Sterne nicht sieht.
Das Kind wird geboren. Vielleicht ist es ein Junge. Vielleicht überlebt er die ersten Stunden in Kälte, Dreck und Elend – vielleicht aber auch nicht.
Ich frage mich: Wie halten wir das aus?

An Gott glauben heißt:
Die Welt bejahen
und vertrauensvoll
den eignen Lebenslauf
stets neu unterschreiben
in der Hoffnung,
dass er ein gutes Ende nimmt.
Andreas Knapp

Wenn wir die Weihnachtsgeschichte lesen, dann scheint es von Jahr zu Jahr mehr eine Fabel zu werden, die irgendwann zur Farce wurde; weil es doch unnötig erscheint. Das Jesuskind aus Ton liegt in der kleinen Krippe unter unserem übervoll-behangenen Weihnachtsbaum. WIR haben dem Jesus-Kind die Tür
aufgemacht. WIR haben
die Geschichte verstanden. WIR sind die Guten.
WIR zeigen Haltung.
Es ist warm, es ist besinnlich, und das Ende der Geschichte, an die wir uns erinnern, ist seit Jahrtausenden bekannt – ein Happy End mit einem unerwarteten Dreh am Ende – nichtsdestotrotz ein gutes Ende, ein triumphierendes Ende – wir kennen es. Müssen wir es wirklich immer wieder aufs Neue lesen?
Ja, die Menschen, die über Marias Schwangerschaft geurteilt haben, waren böse. Ja, dass Josef gezweifelt hat, war schwach. Ja, dass sie sich von Träumen haben leiten lassen, war komisch, aber richtig, und dass ihnen niemand geholfen hat, niemand ihnen Herberge und Unterkunft gegeben hat, das war absolut falsch und ungerecht und hartherzig und … gar nicht so weit hergeholt.

Dem Menschen
als Früchtchen
am Baum des Lebens
ist es gegeben,
die noch unfertige und daher
mangelhafte Schöpfung
weiter zu entwickeln
und liebevoll zu gestalten.
So könnte unser blauer Planet
als göttlich-menschlicher
Gemeinschaftsgarten blühen.
Andreas Knapp

Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden!
Kol 3,21

Habt Vertrauen, meine Kinder, schreit zu Gott! Er wird euch der Gewalt entreißen,
den Händen der Feinde.Bar 4,21

Die Welt hat sich seit Jesus verändert. Die Menschen haben es zum Großteil nicht getan. Jeden Tag werden Kinder in Moria geboren. Jeden Tag sterben Kinder in Moria.
Jeden Tag hätten wir die Chance, unsere Türen tatsächlich aufzumachen und zu helfen, barmherzig und gut zu sein – jeden Tag. Aber jeden Tag entscheiden wir uns wieder, es nicht zu tun. Wir legen uns lieber eine Figur aus Ton in unsere Wohnzimmer, in unsere Kirchen. Ein Symbol; ein Symbol unserer Schwäche, unseres Versagens.
Was gehn mich die Hilfs-bedürftigen an? Wieso sollten die Flüchtlinge mein Problem sein? Wer kein Geld hat, dem kann ich auch nicht mein Zimmer oder eine Unterstützung zur Verfügung stellen. Das würde sich ja gar nicht rentieren – ich muss auch ein bisschen an mich und meine Familie denken.
Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn wir allen dahergelaufenen Menschen helfen? Wo wir da hinkommen? Ich glaube – mitten in den Himmel. Mitten in die Menschlichkeit, für die wir eigentlich gemacht sind.
Aber bevor auch nur einer von uns seine Tür öffnet, muss sich zuerst unser Herz öffnen.

Wenn es göttlichen Ursprungs ist,
was im Menschen derart Unruhe stiftet,
so treibt diese unsichtbare Hand
– eine List der Liebe –
den Menschen dazu an,
nach Gott zu tasten.
Wie Zugvögel im Herbst
einem eingepflanzten Instinkt gemäß
sich sammeln und ins Blaue aufsteigen,
so orientiert ein geheimes Magnetfeld
auch den Menschen himmelwärts.
Andreas Knapp

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ