Mutworte - Ruth Zenkert
Ein Zeichen wie der Regenbogen

Das letzte Schuljahr sollte er fertig machen, um einen Abschluss zu haben. Querflöte sollte er lernen, weil er musikalisch hochbegabt ist. Und er wollte den Führerschein machen. Viele begeisterte Gespräche hatten uns zu diesem Arbeitsprogramm für Marius geführt. Er begann alles – und brach es ab. Verstrickte sich in Ausreden und Lügen, am Schluss wurde es ein Schreikonzert, in das auch ich einstimmte. Da fiel mein Blick auf ein Bild, das an meiner Pinnwand hängt, und plötzlich öffnete es mir die Augen.
Eine zahnlose, verwahrloste alte Frau mit zwei kleinen Buben an der Hand. Das Foto war unscharf, eingerissen. Marius hatte es mir einmal geschenkt: Seine Großmutter hatte in ihrer Verzweiflung die Enkelkinder an unser Sozialzentrum übergeben. Vater und Mutter waren im Gefängnis wegen Drogenvergehen. Jetzt erleuchtete mich das Bild. Dieser Marius, der mir so viel versprochen hatte, war aufgewachsen in Umständen, die es ihm schwer machen, eine Zusage zu halten. Ich hatte ihn überfordert. Das Bild schaue ich jetzt öfters an, und die Liebe zu Marius erstarkt wieder.
Die Lüge hat unsere Beziehung fast zerstört. Gerettet hat unsere Freundschaft ein Bild, ein kleines Zeichen an der Wand. Es wirkt wie der Bogen, den Gott in die Wolken setzte mit den Worten: „Er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde“ (Gen 9,13). Seither ist der Regenbogen ein Zeichen für die Treue. Welches Zeichen schützt dich davor, böse zu sein?

Ruth Zenkert
ist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien. Aus: elijah.ro/bimail

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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