Im Gespräch - Steiermark-Dialog 2020
Durch das Auge des Orkans

Zukunftsgespräch mit (von links) Univ.-Prof. Leopold Neuhold, geschäftsführender Kuratoriumsvorsitzender des Fonds für Arbeit und Bildung Peter Hochegger, Bischof Wilhelm Krautwaschl und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. | Foto: Neuhold
  • Zukunftsgespräch mit (von links) Univ.-Prof. Leopold Neuhold, geschäftsführender Kuratoriumsvorsitzender des Fonds für Arbeit und Bildung Peter Hochegger, Bischof Wilhelm Krautwaschl und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer.
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Steiermark-Dialog 2020.
Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialpartnerschaft diskutieren über die Lage im Land und die Zukunft.

Die Herausforderungen sind groß in dieser Zeit. Gesundheit, Wirtschaft, Arbeitsplätze, Annehmlichkeiten des Lebens und Alltags sind in Frage gestellt.“ So eröffnet Bischof Wilhelm Krautwaschl am 2. Oktober den „Steiermark-Dialog“ auf Schloss Seggau. Er betont die Sorge eines Auseinanderbrechens der Gesellschaft. „Unsere Aufgabe als Kirche ist, Vertrauen in das Dunkle hineinzusagen und darauf zu schauen, dass niemand zurückbleibt.“

Vertrauen und Zuversicht. Den Geist von Vertrauen und Zuversicht beschwört auch der Sozialethiker Prof. Leopold Neuhold. Man müsse zuerst einmal den „kleinen Hunger“ im Auge haben – das Überleben der Menschen – und gleichzeitig für den großen Hunger nach dem guten Leben Perspektiven aufmachen; etwa durch wirtschaftliche Gerechtigkeit – zukunftsgerecht, umweltgerecht, menschengerecht. „Es ist schlimm, wenn der Mensch nur über Arbeit wahrgenommen wird“, so Neuhold. Er verweist angesichts der Probleme auf dem Arbeitsmarkt auf ein Grundeinkommen mit Arbeit als Kombinationsprodukt.

Werteverlust. „Was machen wir, damit aus der Krise keine Not wird?“, stellte Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in den Raum. Es gelte zu verhindern, dass es zu Massenarbeitslosigkeit komme. Schützenhöfer: „Kurzarbeit ist verschleppte Arbeitslosigkeit. Die Frage ist, wie lange wir uns das leisten können.“ Der Landeshauptmann ortet auch ein Gesinnungsproblem. Europa sei ein saturierter Kontinent mit einem hohen Wachstum geworden. Die eigenen Bedürfnisse seien das Maß aller Dinge. „Der Werteverlust der Gesellschaft macht uns Sorgen. Corona können wir in den Griff bekommen, aber das?“

Verunsicherung. Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz, bemerkt viel Wissen und Nichtwissen rund um das Corona-Virus. „Wann es einen Impfstoff geben wird, ist noch nicht klar“, so der Mediziner, „wir müssen Geduld haben.“ Zudem gebe es einen massiven Zuwachs an Angststörungen. „Instabile Menschen sind hoch verunsichert, und psychische Schwierigkeiten betreffen eine viel größere Zahl von Menschen, als wir derzeit sehen. Wenn dann noch Arbeitslosigkeit dazukommt, kann das zu großen sozialen Problemen führen.“

Ungewissheiten. Karl-Heinz Snobe, Geschäftsführer des AMS Steiermark, und Josef Herk, Präsident der Wirtschaftkammer Steiermark, berichten von viel Ungewissheit. „Wir wissen nicht, wie die nun beginnende Kurzarbeitsphase 3 aufgenommen wird, wie sich Reisewarnungen auf den Tourismus auswirken, wie die Arbeitslosigkeit 2021 sein wird“, sagt Snobe. Man müsse mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit bis 2024 rechnen. Herk ergänzt, dass die Wirtschaft das Jahr 2021 schon jetzt abgeschrieben habe. Doch sei das Miteinander zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bisher mustergültig.

Arbeiterkammer-Präsident Josef Pesserl verweist auf dramatische Situationen: „Wir müssen die Existenzsorgen der Menschen sehen und deren Gesundheit. Und wir müssen miteinander agieren.“

Optimismus. Der Präsident der Industriellenvereinigung Stefan Stolitzka betont die Wichtigkeit des Dialogs und ebenso die unsichere Situation. Zum Glück seien Industrie und Wirtschaft in der Steiermark sehr gut aufgestellt. Jedenfalls gelte es, Optimismus zu geben und den Menschen Halt zu vermit-
teln.
Horst Schachner, Landesvorsitzender des ÖGB, macht sich Sorgen um den sozialen Frieden: „Wenn nach dem Winter 700.000 Menschen arbeitslos werden, dann haben wir eine Situation, die es in der 2. Republik nie gab.“ Auch er spricht ein Grundeinkommen an, das durch Arbeit aufgebessert wird.
Franz Titschenbacher, Präsident der Landwirtschaftskammer, sieht die Globalisierung an ihre Grenzen gestoßen. Durch Corona habe die regionale Versorgung und Ernährungssouveränität wieder an Wert gewonnen.

Lebenssicherheit bieten. Caritas-Direktor Herbert Beiglböck nennt mehrere Herausforderungen: den Verlust an sozialen Kontakten und Einsamkeit statt Gemeinschaft, dass nicht alle Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen sind, dass es Menschen gibt, deren Leben „am letzten Zacken“ laufe, dass in der Pflege viel zurückgefahren worden sei, dass UnternehmensgründerInnen und Selbstständige, die sich das nie vorstellen konnten, nun zur Caritas kommen. „Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass es ein voll versichertes Leben gibt. Das Leben ist verwundbar und verletzlich. Wir müssen trotzdem Lebenssicherheit bieten und Unterstützung, damit diese schwierigen Situationen zu bewältigen sind.“
Bischof Krautwaschl verweist am Schluss auf die Wichtigkeit des Teilens: „Solange wir teilen, kann mehr entstehen. Wir müssen miteinander durch dieses Auge des Orkans.“

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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