Debatte
Corona, ethisch reflektiert

Innerhalb von wenigen Monaten hat die Corona-Pandemie die Weltbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt und die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft zu raschem Handeln gezwungen. Auf mehr als 400 Seiten beschäftigt sich eine Studie der Grazer Theologischen Fakultät ausführlich mit den vielfältigen Aspekten und Herausforderungen der weltweiten Krise.

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  • Innerhalb von wenigen Monaten hat die Corona-Pandemie die Weltbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt und die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft zu raschem Handeln gezwungen. Auf mehr als 400 Seiten beschäftigt sich eine Studie der Grazer Theologischen Fakultät ausführlich mit den vielfältigen Aspekten und Herausforderungen der weltweiten Krise.

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In einem neuen Sammelband reflektieren Fachleute den Umgang mit der Pandemie. Das Buch wurde von Grazer Theologen und einem Intensivmediziner herausgegeben.

Ein lokal begrenzter Infektionsherd in einer chinesischen Provinz im Jänner dieses Jahres hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einer weltumspannenden und die Menschheit bedrohenden Pandemie entwickelt. Seither prägen das Virus und die Covid-19-Erkrankung Politik und Medien sowie viele Alltagssituationen. Die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise griffen dabei teilweise massiv in das gesellschaftliche Zusammenleben ein. Dies wurde in den letzten Wochen vielfach öffentlich angesprochen und emotional diskutiert.
Die Herausgeber greifen den Bedarf einer soliden Reflexion dieser Krise auf. Dabei verfolgen sie das Ziel, auf sorgsame Weise Versäumnisse und blinde Flecken aufzudecken. Zugleich sollte auch dasjenige gewürdigt werden, was in der Krise, unter den Bedingungen rascher Handlungszwänge und eines teilweise mangelhaften Wissens, richtig gelaufen ist.
Der inhaltliche Bogen des Buches spannt sich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf kirchliche Feiern und die religiöse Praxis der Menschen (siehe „Im Originalton“) bis hin zu Nachfragen zu den konkreten Herausforderungen in Spital und Langzeitpflege (siehe „Erfahrungsbericht“).

Angesichts knapper medizinischer Mittel (etwa Intensivbetten, Beatmungsgeräte) hatten bereits kurz nach Beginn des „Shutdowns“ nationale Ethikkommissionen entsprechende Empfehlungen zum Umgang mit bestimmten Gruppen von Erkrankten veröffentlicht. Auch diese werden im Buch analysiert.
Mehrere Beiträge beschäftigen sich darüber hinaus aus ärztlicher, rechtlicher und ethischer Perspektive mit der Frage, inwieweit die Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte dem Ausmaß der Bedrohung angemessen waren und sind.
Resümierend lässt sich sagen, dass gesellschaftliche Wertekonflikte, wie die Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit, sich dauerhaft nicht allein durch technokratische Zugänge managen lassen. Auch lässt sich ein verantwortungsvoller Interessenabgleich nicht auf den Gesundheitssektor und die Gefahr sozialer Isolation beschränken. Dies zeigt u. a. die jüngste Debatte um mögliche Verlierer im Bildungsbereich.
Ebenso zieht sich der Blick auf die Deutungsmacht in der Krise wie ein roter Faden durch den Sammelband. Unterschiede zwischen der Corona-Pandemie und der Klima-krise bringen dies beispielhaft auf den Punkt. So steht dem akuten und dramatischen Charakter der Corona-Pandemie mit dem allgegenwärtigen Bild der Virus-Gestalt und der medialen Präsenz von Fallzahlen eine weitaus geringere Anschaulichkeit des dauerhaften Klimawandels gegenüber, dessen Symbolisierungen gerade nicht den normalen Tagesablauf prägen (Stichwort: Maske versus Eisbär).
Die Publikation trägt eine Widmung an die Helferinnen und Helfer in der Krise. Deren unermüdlicher Einsatz wird beispielhaft an Berichten aus der Krankenhaus- und Hospizseelsorge deutlich. Dabei erweist sich die kritische Kraft der spirituellen Sorge um Menschen in leidvollen Situationen als wirksame „Atemhilfe“ für Leib und Seele.

Heinz Finster

Die Corona-Pandemie. Ethische, gesellschaftliche und theologische Reflexionen einer Krise.
Hrsg.: Wolfgang Kröll, Johann Platzer, Hans-Walter Ruckenbauer, Walter Schaupp. Band 10 der Grazer Reihe „Bioethik in Wissenschaft und Gesellschaft“ 2020, 448 Seiten, E-Book | ISBN 978-3-7489-1058-9.
Der Volltext des Buches ist via OpenAccessDownload kostenlos zugänglich:
nomos-shop.de/titel/die-corona-pandemie-id-89397/

Im Originalton
Stephan Winter ist Professor für Liturgie an der Universität Tübingen.
Digital in die Kirche gehen?
Erste Sichtungen zu den digitalen gottesdienstlichen Feiern während der Corona-Zeit.

Religiöse Praxis verlagert sich derzeit aus den Sakralräumen in die eigenen vier Wände – und wird dort vielfach mit Hilfe des Internets am Laufen gehalten. Manche sprechen sogar von einer „Home-Religion“.
All diese Angebote bieten eine große Chance: Sie ermöglichen einen niederschwelligen Zugang für Interessierte. Jede und jeder kann via Internet sehen, was verschiedene Religionen und Konfessionen derzeit sagen und anbieten. Gleichzeitig werden viele aktiv, die bislang in den kirchlichen Kontexten mit ihren Erfahrungen weniger zum Zug kamen.
Aber viele neue Formate zeigen auch, dass es theoretisch und praktisch noch einiges zu entwickeln gibt. Insofern handelt es sich andererseits ebenso um ein „Experiment mit offenem Ausgang“, so die evangelische Theologien Isolde Karle. Auch sie nimmt die Chancen dieser vermehrten Aktivierung digitalisierter, religiöser Kommunikationsformen wahr, gibt aber zu bedenken, dass die Folgen des kirchlichen Shutdowns keinesfalls schönzureden oder zu verharmlosen seien: An Karfreitag und Ostern keine analogen gottesdienstlichen Versammlungen abhalten zu dürfen, treffe die Kirchen „ins Herz“: Es fehlt die direkte Begegnung, die Atmosphäe eines Kirchenraums, die Feier des Abendmahls und die [physisch-]reale Gemeinschaft mit anderen – und dies an Ostern, dem Tag der Auferstehung und Hoffnung. Die mediale Kirche kann eine Gemeinschaft mit physisch kopräsenten Interaktionspartnern nicht ersetzen, die digitale Seelsorge auch nicht eine Seelsorge, bei der man der anderen Person in die Augen schauen, ihre Hand halten oder ein Segensritual durchführen kann.
Fragen, die im Blick auf Digitalisierung ritueller Vollzüge schon seit Längerem in der Liturgiewissenschaft zur Bearbeitung anstehen, werden dadurch unwiderruflich auf der Agenda nach vorne gebracht.

Corona imPflegeheim

Ein Erfahrungsbericht aus der Südoststeiermark.

Im Rahmen der „Corona-Krise“ ist es vor allem in den Alten- und Pflegeheimen immer wieder zu Cluster-Häufungen von Covid-19-Erkrankungen gekommen. Davon waren nicht nur BewohnerInnen, sondern auch MitarbeiterInnen und Angehörige betroffen.
Auch im südoststeirischen Pflegeheim Zerlach waren sowohl BewohnerInnen als auch Pflegepersonen an Covid-19 erkrankt.

In einem Interview mit Johann Platzer schildern Pflegedienstleiterin Barbara Derler, die selbst positiv auf das Corona-Virus getestet worden war, und Hausleiterin Brigitte Pichler ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen während dieser Zeit:
„Als ich von meinem positiven Testergebnis erfuhr, galt meine erste Sorge dem Pflegeheim und meiner Familie“, so Derler. „Es ist mir ziemlich schnell bewusst geworden, dass dieses Virus für unser Pflegeheim eine große Bedrohung werden könnte. Vor allem als klar war, dass auch zwei Bewohnerinnen an Covid-19 erkrankt waren.“
Zu den größten Herausforderungen zählten vor allem die rasche Umsetzung von Schutzmaßnahmen und die Kommunikation zwischen den BewohnerInnen und den Angehörigen. Auch bei der Frage, wer alles getestet werden sollte, gab es große Unsicherheiten: „Hier hat es – so wie in vielen anderen Pflegeheimen auch – immer wieder unterschiedliche Ansichten bei den niedergelassenen Ärzten gegeben. Das war für uns oft sehr belastend.“
Laut Heimleiterin Pichler hat sich bei den BewohnerInnen die soziale Isolation während dieser Zeit auch negativ auf deren Gesundheitszustand ausgewirkt: „Man konnte direkt zusehen, wie einige Menschen sich zurückgezogen haben und ‚verfielen‘. Unsere BewohnerInnen sind zwar nie ganz allein. Aber wir können niemals die Beziehungen und die Menschen ersetzen, die sie lieben. Viele haben auch gesagt: ‚Ich will lieber sterben als dass ich meine Angehörigen nicht mehr sehe‘.“
Auch löse die Bezeichnung älterer Menschen als „Risikogruppe“ oder als „zu Beschützende und Schwache“ bei vielen Betroffenen ein Gefühl der Bevormundung aus. Solche negativen Altersbilder könnten nach Einschätzung der Befragten auch zu einer zunehmenden Altersdiskriminierung führen. Beide Befragten nehmen aber auch etwas Positives aus dieser Zeit mit – vor allem die Erfahrungen des Zusammenhalts und, „dass Krisen auch bewältigbar sind“.

notiert von Johann Platzer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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