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Schriftstellerin Renate Welsh kam 1937 in Wien zur Welt und ist dort sowie in Bad Aussee aufgewachsen. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet –  Titelheldin  „Johanna“ kennt sie als Nachbarin. | Foto: RB/Christopher Mavric
  • Schriftstellerin Renate Welsh kam 1937 in Wien zur Welt und ist dort sowie in Bad Aussee aufgewachsen. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet – Titelheldin „Johanna“ kennt sie als Nachbarin.
  • Foto: RB/Christopher Mavric
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Kaffee und reden: Schriftstellerin Renate Welsh erzählt das Leben einer starken Frau. Sie hat Johanna zugehört und ihren Weg in die Mitte des Dorflebens aufgezeichnet.

von Christina Repolust

RB: Sie haben die Titelheldin Ihrer Romane „Johanna“ und „Die alte Johanna“ als Ihre Nachbarin in der Nähe von Gloggnitz kennen gelernt. Wie kamen Sie miteinander ins Gespräch?
Welsh: Kennen gelernt habe ich sie, weil ich keine Ahnung hatte, was es bedeutet, auf dem Land zu leben. Sie war es, die mir sagte, wann man die Salatpflanzerl aussetzen kann. Man konnte sie immer um Rat fragen. Damals gab es auch noch den Brauch, mit dem Besen vor der eigenen Tür zu kehren, besonders vor hohen kirchlichen Feiertagen. Auf unsere Besen gestützt, haben wir begonnen, miteinander zu „tratschen“, kehrten wir weiter, machten wir wieder eine Pause….

RB: Warum haben Sie nicht gleich miteinander Kaffee getrunken? Im Roman wird immer dann, wenn es um etwas geht, zuerst einmal ein Kaffee gekocht.
Welsh: Draußen vor der Tür miteinander zu reden war damals gesellschaftlich in Ordnung. Wer einfach so mit der Nachbarin Kaffee trinkt, der hat nichts zu tun. Und Johanna war eine Frau, die immer viel zu tun hatte. Ihr Hof war immer der, der am gründlichsten gekehrt war. Sie putzte ihre Fenster häufiger als jede andere im Ort.

RB: Johanna hat mit ihrem Mann, dem Sozialisten, Bauern und Bergmann Peter, acht Kinder. Diese Familie wurde als „rotes Gsindel“ abgekanzelt und Johanna war neuen Vorurteilen ausgesetzt. Wie verkraftet ein Mensch diese lebenslangen Missachtungen?
Welsh: Viele Menschen können die Pfeile, die andere geschossen haben, nur aus sich herausziehen, um damit andere Menschen zu verletzen. So eine war Johanna nicht: Sie hat die Pfeile rausgezogen und verbrannt. Mit Ausnahme ihrer Schwägerin, der Schwester ihres Mannes, die die gesamte Familie belogen und übervorteilt hatte, hat sie über niemanden im Dorf schlecht geredet. Sie hat zwar nichts vergessen, aber immer nach vorn geschaut. Dass aus ihren Kindern „etwas geworden“ ist, hat sie stolz gemacht. Man darf nicht vergessen, dass man ihnen den Besuch der Hauptschule verwehrte, denn: was „will das rote Gsindel“ dort?

RB: Wann genau haben Sie Ihre Nachbarin kennen gelernt, wann ist sie verstorben?
Welsh: Seit 1967 hatten wir Kontakt, gestorben ist sie 2011. Einmal wollte ich mit dem Auto zum Einkaufen fahren und bot Johanna an, sie mitzunehmen. Sie müsse, meinte sie, sich noch umziehen. Mein „Warum“? quittierte sie mit einem einfachen: „Eine wie Sie kann es sich leisten, so in den Ort zu fahren, ich nicht.“ Gut, ich trug wie immer Jeans und einen ausgewaschenen Peru-Pullover. Diese Bemerkung hat mich verletzt, plötzlich war ich „eine wie Sie“, die aus der Stadt, die sich mehr erlauben darf als eine, die immer besser, sauberer, fleißiger als die anderen sein sollte, wollte oder musste.

RB: Dennoch wurden Sie Freundinnen, Johanna erlaubt Ihnen schließlich, Ihre Geschichte aufzuschreiben.
Welsh: Ich war die, die in dieser Beziehung vieles zu lernen hatte und ich habe meine Lektion schnell gelernt. Einmal schilderte Johanna beim Kaffee in meiner Küche, wie sie als junges Mädchen noch bis Allerheiligen barfuß die Kühe austreiben musste. Kurz darauf musste ich dem Rauchfangkehrer barfuß die Leiter halten, weil mein Hund sämtliche Schuhe versteckt hatte.

RB: Ihre Erkenntnisse?
Welsh: Dabei erfuhr ich, wie schmerzhaft die Kälte bis in die Haarwurzeln steigt, und dachte, dass die Mägde bestimmt ihre eiskalten Füße in den warmen Kuhfladen wärmten. Ich machte mir eine kurze Notiz. Wir saßen wieder einmal beim Kaffee, plötzlich lachte sie und sagte, wenn ich wüsste, was sie beim Hüten getan hätten, würde ich nicht die Füße mit ihr unter einen Tisch stecken. Ich zeigte ihr meine Notiz. Zuerst glaubte sie, jemand müsse es mir verraten haben. Als ich ihr versicherte, es sei mir logisch vorgekommen, nickte sie. „Wenn Ihnen das logisch vorkommt, können S’ auch ein Büchel über mich schreiben.“

RB: Johann zieht im Alter zu ihrer Tochter, spürt das Nachlassen ihrer Kräfte. Ist sie leicht von dieser Welt, die es ihr nicht immer leicht gemacht hat, gegangen?
Welsh: Ja, sie war einverstanden mit dem Sterben. Das Leben hat sich für sie gerundet, sie hat ihre Nachkommen heranwachsen gesehen, die Kinder und Enkel sind zu ihr gekommen, haben sie um Rat gefragt. Johanna ist eine großzügige, offene und starke Frau gewesen, im Leben und Sterben. Noch eine Bemerkung: Mit den Ratschlägen hatte sie – fast immer – recht.

Buchtipp: Die alte Johanna“ von Renate Welsh ist im Czernin-Verlag erschienen, hat 192 Seiten und die ISBN-Nummer 978-3-7076-0724-6.

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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