Gelesen von Heinz Niederleitner
Ein Wälzer über Benedikt XVI.

Foto: Rupprecht/Kathbild

Wer rund 1.100 Textseiten über ein Pontifikat veröffentlicht, verdient eine angemessene Bewertung seiner Arbeit. Peter Seewald, dessen Prominenz von seinen Interviewbüchern mit Joseph Ratzinger herrührt, hat eine umfassende Biografie des „Papa emeritus“ geschrieben.

Von den Anfängen des Gendarmensohnes, der das NS-Regime erlebte, über die Leistungen des Theologen, der Einfluss auf das Zweite Vatikanum nahm, den Erzbischof von München, den Präfekten der Glaubenskongregation bis zum Papst und zur Zeit danach: Seewald hat seine Aufmerksamkeit gut verteilt und seine Ausführungen bis Anfang der 1980er-Jahre sind interessant. Danach ist das Buch eine Verteidigung Ratzingers. Das ist das Recht des Autors. Wenn er freilich zu Beginn von „kritischer Distanz“ schreibt, ist diese nur in Ansätzen erkennbar. Zwar kaschiert Seewald die Schwächen Benedikts XVI. nicht, vor allem die Unbeholfenheit im Umgang mit einer kritischen Öffentlichkeit. Allerdings wird die öffentliche Kritik an der Theologie und dem Kirchenkurs Ratzingers eher vorgeführt. Auf die Idee, dass da auch Wahres dran sein könnte, kommt Seewald kaum. Besonders bezeichnend sind die vielen Bezüge auf Hans Küng. Denn so prägend, wie der Schweizer Theologe in dem Buch als Finsterling auftritt, war er für Ratzingers Leben wohl kaum. Wenn Seewald in einem Interview vergangene Woche Ratzinger und Küng mit Mozart und Salieri vergleicht, kommt der Verdacht auf, dass das Verhältnis der Theologen auf einen bestimmten Plot hinkonstruiert wurde. Auch nicht jede Metapher Seewalds überzeugt: „Seine Haare leuchteten wie weißes Gold, als im Petersdom immer wieder ganz unliturgischer Applaus aufbrandete.“ (Seite 1046)

„Vergiftet“?
Mitunter versteigt sich der Autor in Aussagen, die er nicht belegen kann: „Keinem Pontifex der Neuzeit war so wenig an Macht gelegen.“ (Seite 836) sowie Wertungen, die Widerspruch hervorrufen: „Benedikts Wiederzulassung der ‚alten Messe‘ entsprach im Grunde dem Trend, nach verpanschtem Wein, giftigen Lebensmitteln und Fast-Food-Wahn wieder auf ‚Classico‘ und ‚Traditionale‘ zu setzen.“ (Seite 875) – Ist also der heutige Ritus verpanscht und vergiftet? Die zitierte Behauptung eines Kirchenrechtlers, der Papst hätte keine andere Wahl gehabt, als die Exkommunikation der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft aufzuheben (Seite 893), ist bei einem absoluten Monarchen wie dem Papst leicht zu widerlegen. Die Aussage, das Zweite Vatikanum habe die Notwendigkeit des Zölibats betont (476), ist in dieser Einseitigkeit nicht mit dem Konzilstext „Presbyterorum ordinis,“ in Einklang zu bringen, wo das Zölibat empfohlen wird, aber es auch heißt, es werde nicht vom Priestertum seinem Wesen nach erfordert.

Schnitzer
Immer wieder leistet sich Seewald Schnitzer. So behauptet er (Seite 32), die Seligsprechung Franz Jägerstätters wäre in Rom von Papst Benedikt XVI. zelebriert worden. Das geschah aber in Linz, weil Benedikt, wie Seewald an anderer Stelle (Seite 814) richtig erwähnt, die Feier der Seligsprechungen dezentralisiert hatte. Dass der in München lebende Seewald offenbar nicht weiß (siehe Seite 123), dass Christoph Propst, Mitglied der Weißen Rose, gemeinsam mit den Geschwistern Scholl in München hingerichtet wurde, erstaunt. Über Stolpersteine in Ratzingers Leben geht er allzu schnell hinweg, wie dessen Kontakt zur Integrierten Gemeinde (Seite 630), der die Erzdiözese München 2019 sektenartige Behandlung von Mitgliedern vorwarf. Seewalds Schelte des medialen Umgangs mit Benedikt – eine wichtige Fragestellung – verweist nicht selten auf eine „Medienwissenschaftlerin“, die sich bei Nachforschung als bei Einreichung der Arbeit knapp 60-jährige Dissertantin der Uni Wien herausstellt, die neben anderen Studien Gasthörerin an der Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz war. Ein großes Anliegen ist Seewald, die These vom Bruch im Leben Ratzingers zu widerlegen, nach der sich dieser vom Fortschrittlichen zum Konservativen entwickelt habe. Vielleicht lässt sich das tatsächlich besser so beschreiben, dass Ratzinger von der Theologie vor ihm betrachtet ein progressiver Geist war, er aber irgendwann aufgehört hat, die weitere Entwicklung mitzumachen.

Antworten
Am Ende des Buches hat Seewald ein paar Interviewfragen angehängt. Die Antworten Benedikts bergen kaum Neues, haben aber angesichts barscher Aussagen zur Ehe homosexueller Paare und über eine „weltweite Diktatur von scheinbar humanistischen Ideen“ neues Skandalpotential. Zusammenfassend betrachtet ist Seewalds dicker Schmöker das Werk eines Benedikt-Anhängers. Benedikt-Fans werden das Buch lesen und ihre Ansichten bestätigt sehen, Benedikt-Kritiker/innen dagegen ihre Ansicht als schlecht dargestellt wahrnehmen.
Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben. Droemer Verlag, 1150 Seiten. 39,10 Euro

Autor:

Brigitta Hasch aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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