Interview mit Josef Kirchner
Mit den Religionslehrern steht die Kirche in der Klasse

Mag. Josef Kirchner, Leiter der diözesanen Schulamtes, vor einem Sujet der Kampagne für den Religionsunterricht. | Foto: Martina Bender/Pressestelle
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  • Mag. Josef Kirchner, Leiter der diözesanen Schulamtes, vor einem Sujet der Kampagne für den Religionsunterricht.
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FI Prof. Mag. Josef Kirchner, Direktor des diözesanen Schulamtes, hat die Kampagne der diözesanen Schulämter für den katholischen Religionsunterricht mitinitiiert und mitgetragen. Im Interview mit „Kirche bunt“ spricht er nicht nur über die Hintergründe und das Ziel der Kampagne, sondern sagt auch, was den Religionsunterricht vom Ethikunterricht unterscheidet, was einen guten Religionsunterricht heute ausmacht und ob Schüler im Unterricht näher zum Glauben und zur Kirche finden.

Im Schuljahr 2021/22 soll der Ethikunterricht schrittweise an allen Schulen für jene Schüler verpflichtend eingeführt werden, die keinen Religionsunterricht besuchen. Haben Sie Sorge, dass der Ethikunterricht eine Konkurrenz zum katholischen Religionsunterricht wird?

Mag. Josef Kirchner: Nein, im Gegenteil. Es ist ja so, dass der Ethikunterricht seit über 20 Jahren in Österreich als Schulversuch an 233 Stand­orten erprobt wird – und in einigen europäischen Ländern werden schon seit Jahren Religion und Ethik gemeinsam angeboten. Überall hat sich gezeigt: Ethikunterricht ist keine Konkurrenz zum Religionsunterricht, sondern eine gute Ergänzung. Mit der Einführung des Ethikunterrichts fällt auch die Möglichkeit weg, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Es geht darum, dass alle Schülerinnen und Schüler einen Ethik- und Werteunterricht erhalten sollen und nicht nur jene, die den Religionsunterricht besuchen.

Wurde die Kampagne für den Religionsunterricht, die Sie ja federführend mitinitiiert und mitgetragen haben, als Antwort auf den geplanten Ethikunterricht lanciert?

Kirchner: Es ist purer Zufall, dass sich das so getroffen hat. Die Kampagne hat mit der geplanten Einführung des Ethikunterrichtes nichts zu tun. Wir mussten in den letzten Jahren immer wieder feststellen, dass es in der Außen- und Fremdwahrnehmung in Bezug auf den Religionsunterricht oft Falschmeldungen gab und gibt. In den Medien wird der Religionsunterricht oft verzerrt, verkürzt oder schlichtweg falsch dargestellt. Der letzte Auslöser war ein Bericht in der „Zeit im Bild“ vor eineinhalb Jahren. Da wurden im Zusammenhang mit dem Ethikunterricht sehr suggestive Bilder von einem didaktisch, methodisch veraltetem und rückwärtsgewandten Religionsunterricht präsentiert, der dem aktuellen Stand und der bestehenden Praxis absolut nicht entspricht. Dieses verfälschte Bild wollen wir mit der Kampagne korrigieren, da bestens fachlich und methodisch ausgebildete Lehrkräfte den Religionsunterricht heute nach modernsten Kriterien gestalten.
Was leistet der Religionsunterricht – auch im Gegensatz zum Ethikunterricht – heute?
Kirchner: Religions- und Ethikunterricht haben eine große Überschneidung: Beide Fächer wollen die Schüler zu einer selbständigen Reflexion im Hinblick auf Wege gelingender Lebensgestaltung befähigen, ihnen Orientierungshilfen geben und sie zur fundierten Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens anleiten. Der Mehrwert und die Exklusivität des Religionsunterrichts zeigt sich darin, dass wir davon ausgehen, dass Spiritualität und Religiosität zum Menschsein gehören. Im Religionsunterricht geht es also nicht nur um das „to do“ (handeln), sondern vor allem auch um das „to be“ (sein)! Das bedeutet: Wir vermitteln im Religionsunterricht, dass wir alle von Gott geliebte Menschen sind. Aus diesem Impetus, aus dieser Erfahrung: „Du bist unbedingt geliebt und gewollt, besitzt einen von außen, von (Miss-)Erfolg, Besitz etc. unabhängigen, unzerstörbaren Wert“, erfolgt ein entsprechendes Handeln. Da geht es auch nicht darum, dass wir den Schülern den Glauben aufdrängen, sondern wir bringen den Glauben ins Spiel.


Es gibt kritische Stimmen, dass Religionslehrer keinesfalls Ethik unterrichten sollen, weil sie sonst ihre eigene katholische Überzeugung weitergeben?

Kirchner: Dieses Argument ist wirklich schief! Wenn man das konsequent durchdenken würde, dann dürfte z. B. kein Kollege politische Bildung unterrichten, weil ich gehe davon aus, dass z. B. ein Geschichte- oder Deutschlehrer hoffentlich eine klare, eigene politische Meinung hat – und trotzdem traut man ihr oder ihm zu, dass sie bzw. er fähig ist, den Gegenstand so zu unterrichten, ohne politisch manipulativ zu sein. Und auch die Erfahrungen der letzten Jahre, seit der Schulversuch mit dem Ethikunterricht läuft, zeigen: Es gab nie Prob­leme, nie Kritik von den beteiligten Schüler/innen daran, dass Religionslehrkräfte, die in der Theologie auch eine fundierte ethische Ausbildung haben und eine Zusatzausbildung für den Ethikunterricht gemacht haben, das Fach unterrichten. Und folgerichtig werden unsere Religionslehrer/innen auch für die Ausbildung zum Ethikunterricht, die es seit einem Jahr an der KPH Wien/Krems und an den Universitäten gibt, zugelassen.


Weiß man überhaupt, wie der Religionsunterricht bei den Schülern bzw. bei den Eltern ankommt?

Kirchner: Religion ist das Fach, in dem die Lehrer jedes Jahr sozusagen ein direktes Feedback bekommen. Das heißt, die Schüler/innen, die im Religionsunterricht anwesend sind, sind in diesem Fach, weil sie oder ihre Eltern (wenn die Schüler noch nicht mündig sind) den Religionsunterricht wertschätzen und sich nicht davon abmelden. Wir Religionslehrkräfte erhalten also jedes Jahr eine persönliche und sehr basisdemokratische Zustimmung und ich bin jedes Jahr immer wieder positiv überrascht, welche Akzeptanz der Religionsunterricht hat: Es nehmen österreichweit rund 91 Prozent aller katholischen Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teil. Man kann klar sagen: Der Religionsunterricht ist gewünscht und gewollt. Von den Schülern ohne Bekenntnis sind es österreichweit immerhin 27 Prozent, die den katholischen Religionsunterricht als Freifach wählen. Das spricht für die Qualität des Unterrichts und ich sage immer zu meinen Lehrern: Nehmt das wahr, das ist ein großes Lob und eine Zusage!

Was macht eine gute Religionslehrerin, einen guten Religionslehrer aus?

Kirchner: Die solide fachliche Ausbildung sowie die Fähigkeit, methodisch und didaktisch zu unterrichten, sind Grundvoraussetzungen, aber gerade beim Religionslehrer ist wichtig, dass die Schüler diesen Menschen als ehrlich, authentisch und gläubig erleben. Der Religionslehrer hat eine Doppelfunktion: Da geht es nicht nur um die Weitergabe von Bildungsinhalten, sondern vor allem auch um die Weitergabe existenzieller Wahrheiten. Als Religionspädagogen sind wir als Glaubende und Suchende auch auf Augenhöhe mit den Schülern unterwegs – es ist eine Weggemeinschaft. Man erlebt da im Laufe der gemeinsamen Unterrichtszeit die verschiedensten existenziellen Situationen wie Todesfälle oder ernste Erkrankungen, sowohl im Umfeld der Schüler wie auch im eigenen Umfeld. Die Schüler erleben, wie man persönlich mit Krisen umgeht, wie man das bewältigt, was einem Kraft gibt und wie man das Leben aus der Erfahrung eines mitgehenden Gottes durch alle Höhen und Tiefen gelingend gestalten kann.

Es gibt aber auch immer wieder Kritik, dass in manchen Religionsstunden vieles zur Sprache kommt, nur nicht Gott und der Glaube. Was sagen Sie dazu?

Kirchner: Zwei Dinge voraus: Rein vom Lehrplan her sind alle Inhalte der Glaubens­tradition durch die Schuljahre hindurch Thema des Unterrichts – also auch Themen, die sich über biblische, dogmatische, kirchengeschichtliche, sak­ramentale u. a. Inhalte erstrecken. Und: Wir haben für jeden Schultyp entsprechend geschulte Fachinspektorinnen und -inspektoren, die da einen Blick darauf haben. Wir haben fast 680 Kolleginnen und Kollegen, die in der Diözese St. Pölten an den Schulen tätig sind – die leisten hervorragende Arbeit, weil wir sonst nicht diesen Zuspruch und Erfolg hätten, den wir haben. Natürlich kann es auch hin und wieder durchaus problematische Situationen geben, aber ich möchte schon betonen, dass wir tätig werden, wenn an uns Kritik herangetragen wird. Andererseits muss ich aber auch sagen, dass sich gerade die Religionslehrer/innen situationsbedingt auf die Lebenswelt der Schüler einstellen müssen. Grundsätzlich sind Gott und der Glaube auch dort im Spiel, wo er nicht ausdrücklich benannt wird. Und aus meiner eigenen 27-jährigen Erfahrung als Religionslehrer weiß ich: Der entscheidende katechetische Faktor ist die Persönlichkeit der Religionslehrer.

Es ist ein Trend, der sich fast in allen Pfarren und westlichen Ländern zeigt: Immer weniger Jugendliche sind am Sonntag im Gottesdienst oder in der Kirche zu finden. Wie erleben Sie das im Diözesanschulamt: Wird die Jugend immer ungläubiger?

Kirchner: In den 27 Jahren aktiven Unterrichtens habe ich immer wieder gehört, dass die Jugend immer schlechter, ärger und ungläubiger wird. Ich sage: Das stimmt so nicht. Was stimmt ist, dass die Schüler immer weniger Erfahrung, Verwurzelung und Beheimatung in ihrer Konfession haben. Früher war der gelebte Glaube in der Familie selbstverständlich, heute haben wir immer weniger Schüler dabei, die kirchlich sozialisiert sind. Wir als Religionslehrer sind, wie übrigens auch die Caritas, in einem vorwiegend säkularen Umfeld tätig. Daher ist die Forderung, dass wir primär Kirchgänger produzieren sollen, illusorisch. Das war noch nie und ist auch heute nicht primäres Ziel des Religionsunterrichts. Aber es geht schon darum, dass ich jenen Schülern, die komplett fern sind vom Glauben, authentisch zeige, warum ich in der Kirche beheimatet bin und warum ich aus dem Glauben heraus lebe. Im Religionsunterricht geschieht ja auch Seelsorge und so gesehen, stehe ich immer auch im Namen der Kirche in der Klasse. Wir als Religionslehrer sind ein wichtiger Außenposten der Kirche, der hoffentlich auch in dieser diakonalen Funktion wertgeschätzt wird.

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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