Interview mit Jan-Heiner Tück
Jesu Kreuz - Ernstfall der Liebe

Jan-Heiner Tück ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Er ist Schriftleiter der Internationalen Katholischen Zeitschrift Communio und 
u. a. Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
 | Foto: Institut für Dogmatik/2017
  • Jan-Heiner Tück ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Er ist Schriftleiter der Internationalen Katholischen Zeitschrift Communio und
    u. a. Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
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Das Kreuz – für Christen das wichtigste Symbol ihres Glaubens. Der Dogmatiker Jan-Heiner Tück schrieb über das Kreuz ein beachtenswertes Buch und spricht im „Kirche bunt“-Interview über die Anstößigkeit des Kreuzes, warum Jesus am Kreuz sterben musste und über das Kreuz im öffentlichen Raum.

Der Titel Ihres Buches „Crux – über die Anstößigkeit des Kreuzes“ klingt dramatisch. Was ist am Kreuz anstößig?

Prof. Jan-Heiner Tück: Wir haben uns so an die Präsenz von Kreuzen gewöhnt, dass wir den Skandal von Golgota kaum noch wahrnehmen. Schon der Apostel Paulus sagt aber, dass das „Wort vom Kreuz“ für Juden ein „Ärgernis“, für Griechen eine „Torheit“ ist. Die Vorstellung eines gekreuzigten Messias sprengte den damaligen Erwartungshorizont. In der Tora heißt es: „Verflucht ist, wer am Holz hängt“ (Dtn 23,21). Und in der Skala der Todesstrafen im Römischen Reich war die Hinrichtung am Kreuz Sklaven und Schwerstverbrechern vorbehalten. Dass in dieser totalen Erniedrigung Jesu Christi Rettung und Heil aller Menschen liegen soll, war und ist ein provozierender Gedanke!

Wir stehen am Beginn der Karwoche – vor dem Karfreitag. Welche theologischen Anstöße bietet das Kreuz heute?

Tück: Die Erinnerung an das Leiden Christi gibt erstens den Anstoß, das Leid der anderen nicht zu verdrängen und die eigene Verwundbarkeit nicht zu vertuschen. Darin steckt der Appell, sich mit den Armen zu solidarisieren und Unrecht praktisch zu bekämpfen. Das Kreuz ist zweitens Spiegel der Schuld. Es deckt das Böse auf, das auch in uns als dunkle Möglichkeit schlummert. Wir sind nicht so perfekt, wie wir vor anderen und vor uns selbst gerne wären. Wir sind alle Meister in der Kunst, es nicht gewesen zu sein, die immer darauf hinausläuft, es andere gewesen sein zu lassen. Diesen Mechanismus der Fremdbezichtigung unterbricht das Kreuz. Was in unguten Gedanken beginnt, sich in gehässigen Worten fortsetzt, kann sich ja in der Ausgrenzung anderer entladen. Das Kreuz steht drittens für eine Kultur der Vergebung. Jesus hat Feindesliebe nicht nur gepredigt, sondern selbst bis in den Tod hinein eingelöst. Noch sterbend hat er für seine Peiniger gebetet (Lk 23,34). Statt andere auf ihre Fehler zu fixieren, gilt es, ihnen einen Raum der Umkehr und des Neubeginns offen zu halten. Ein Denken in Freund-Feind-Schemata kann sich nicht auf Jesus berufen. Das Kreuz erinnert an die rettende und erlösende Kraft der Passion Christi und ist Zeichen für den österlichen Durchbruch zu einem Leben, das keinen Tod mehr kennt.

Ein Kapitel hat den Titel ,,Warum Jesus nicht gegen den himmlischen Vater rebelliert hat“. Die Frage ist berechtigt. Wäre das nicht ganz normal gewesen?
Tück:
Er hätte rebellieren können, hat es aber nicht getan. Die Szene im Garten Getsemani zeigt ja das dramatische Ringen mit dem Willen des Vaters. Durch Rebellion wäre Jesus aus der Willensgemeinschaft mit Gott herausgefallen, die für sein ganzes Leben leitend war. Im Sinne des Vaterunsers – „Dein Wille geschehe“ – hat er den Kelch des Leidens freiwillig auf sich genommen. „Nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ In dieser Grundhaltung des Vertrauens ist er in die Nacht von Golgota hineingegangen. Der Vater aber ist kein apathischer Zuschauer, der sich am Leiden seines Sohnes ergötzt. Das wäre eine Karikatur. Die Bibel weist die Spur, die Passion als Ausdruck der Liebe zu verstehen: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh 3,16) Gott zeigt uns seine vergebende Liebe über den Weg der Passion – und indem Jesus sein Leiden bejaht, kann er den brutalen Akt der Hinrichtung von innen her in einen Akt der Hingabe verwandeln.

Musste Jesus so grausam sterben? Hätte es nicht auch gereicht, wenn er ein Leben als Mensch gelebt, die Liebe Gottes verkündet und dann eines natürlichen Todes gestorben wäre?

Tück: Das Kreuz ist der Ernstfall der Liebe Gottes. Gewiss kann man nach möglichen Alternativen fragen. Aber in der Reflexion über den Glauben gehen wir vom biblisch bezeugten Faktum der Kreuzigung Jesu aus. Der wahrhaft Gerechte erfährt in einer ungerechten Welt Widerstand, Missachtung und Ausgrenzung. Er spiegelt den anderen ihre Fassadenhaftigkeit und Scheinheiligkeit. Jesus hat die Barmherzigkeit Gottes in der Zuwendung zu Zöllnern und Sündern gelebt und dadurch provoziert. Seine Proexistenz für Gott und die anderen ist durch den Tod am Kreuz besiegelt worden. Beim letzten Abendmahl hat Jesus selbst sein bevorstehendes Sterben gedeutet. Er hat das Brot gebrochen und sich selbst damit identifiziert: „Dies ist mein Leib für euch.“ So hat er deutlich gemacht, dass sein Tod ein Akt der Liebe für uns ist – vielleicht auf der Linie des leidenden Gottesknechts, der die Schuld der Vielen getragen hat (vgl. Jes 53).

Das Kreuz ist in unserer Kultur sehr gegenwärtig – angefangen von unserem Landschaftsbild mit den vielen Kirchen, Marterln, Wegkreuzen bis hin zum Herrgottswinkel zu Hause oder dem Kreuzketterl am Hals. Was bedeutet diese Präsenz des Kreuzes?

Tück: Die öffentliche Präsenz des Kreuzes erinnert uns an unsere christlichen Wurzeln. Schon bei der Taufe sind wir mit dem Zeichen des Kreuzes besiegelt und ein für alle Mal in die Gemeinschaft mit Christus hineingenommen worden. Es ist wichtig, sich daran immer wieder zu erinnern. Zugleich ist in den beschleunigten Lebenswelten heute die Anbindung an die Tradition unserer Vorfahren wichtig. Der senkrechte Balken des Kreuzes steht so auch gegen Transzendenzvergessenheit.

Das Kreuz hat heute im öffentlichen Raum oft keinen Platz mehr. Das Unbehagen scheint zu wachsen.

Tück: Ja, unsere Gesellschaft verändert sich, sie wird religiös pluraler und weltanschaulich bunter. Nicht alle akzeptieren das Kreuz. Durch antijüdische, antiislamische und imperiale Deutungen ist das
Symbol auch historisch belastet. Um religionspolitische Konflikte zu vermeiden, muss man sorgfältig mit der Frage umgehen, wann und wo Kreuze aufgehängt werden. Ich glaube allerdings, dass es nicht die Aufgabe des weltanschaulich-neutralen Staates sein kann, religiöse Symbole im Namen einer falsch verstandenen Toleranz ganz verschwinden zu lassen. Ich bin gegen eine Politik der weißen Wand, die letztlich auf eine Privilegierung der Religionslosen im öffentlichen Raum hinausläuft. Die negative Religionsfreiheit sollte nicht stärker betont werden als die positive. Es muss auch öffentliche Orte geben, wo religiöse Akteure ihren Glauben symbolisch zum Ausdruck bringen, um an Werte und Überzeugungen zu erinnern, die schließlich allen zugute kommen. Ohne das Kreuz als Zeichen der Caritas könnte die soziale Temperatur in der Gesellschaft kälter werden.

Sie bieten in ihrem Buch unterschiedliche Zugänge zum Geheimnis des Kreuzes an.

Tück: Ich wollte die weiße Wand nach dem Verschwinden der Hörsaalkreuze an der Uni Wien nicht einfach beklagen, sondern zu einem produktiven Ort machen. Mir war wichtig zu zeigen, dass das Kreuz nicht nur in der Theologie, sondern auch in Kunst, Literatur und Philosophie vielfältige Deutungen gefunden hat, die uns zu denken geben. Schon im antiken Drama etwa gibt es Figuren, die bereit sind, ihr Leben für andere zu geben, oder Platon prognostiziert in seiner „Politeia“ dem wahren Gerechten, dass er in einer ungerechten Welt verleumdet, gegeißelt und gekreuzigt werden wird. Neben der Bibel, den Kirchenvätern, Theologen wie Thomas von Aquin und Martin Luther kommen auch ungewöhnliche Zeugen zu Wort. Dostojewski etwa, der vor Holbeins totem Christus im Grab erstarrt und in seinem Roman „Der Idiot“ eine vielschichtige Deutung des Karsamstags bietet, oder Nietzsche, dessen Polemik gegen das christliche Mitleid in der Auseinandersetzung mit dem Gekreuzigten an ein Ende kommt, oder Paul Celans Gedicht „Tenebrae“ bieten denkwürdige Zugänge.

Ist es nicht erstaunlich, dass dieses Kreuz, an dem Jesus so qualvoll sterben musste, für uns Christen das Heilssymbol ist? Das Symbol für das ewige Leben? Für die Osterfreude?

Tück: Ja, wir denken über das Kreuz nur so intensiv nach, weil der Gekreuzigte lebt. Paulus, der vor Damaskus aus einem fanatischen Verfolger zu einem glühenden Bekenner geworden ist, aber schon vorher Maria von Magdala oder die Emmaus-Jünger stehen für diese bahnbrechende Erfahrung, dass Jesus lebt! Die Auferstehung des Gekreuzigten aber reißt einen Horizont der Hoffnung auf, der quersteht zu resignativen Einstellungen. Wir werden nicht im Ozean des Nichts untergehen, unser Leben ist nicht gleichgültig. Wir werden vielmehr auf der anderen Seite des Todes erwartet, sagt uns der Glaube. Christus, der „Anführer des Lebens“, ist uns vorausgegangen. Das himmlische Hochzeitsmahl ist eine schöne Metapher für das unbeschreibliche Leben bei Gott, das noch vor uns liegt. Das dürfen wir an Ostern feiern.
Interview: Elias Haslwanter und Sonja Planitzer


Das Buch

Crux – Über die Anstößigkeit des Kreuzes, Jan-Heiner Tück; 376 Seiten, 28 Euro, erschienen im Herder Verlag, ISBN: 978-3-451-39197-2.
Angeregt durch unterschiedliche Werke aus Theologie, Philosophie, Kunst und Literatur macht Jan-Heiner Tück in diesem Buch die Vielschichtigkeit und die rettende und versöhnende Kraft des Kreuzes sichtbar.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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