Zwangsentsiedelung Truppenübungsplatz Allensteig
„Auf oamoi hot’s g’hoaßn, mia miaßn weg“

Der Truppenübungsplatz Allentsteig (früher Döllersheim) wurde in der NS-Zeit angelegt. Heute hält das Bundesheer hier seine Übungen ab. | Foto:  Patricia Harant-Schagerl
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  • Der Truppenübungsplatz Allentsteig (früher Döllersheim) wurde in der NS-Zeit angelegt. Heute hält das Bundesheer hier seine Übungen ab.
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Vor 75 Jahren, am 15. August 1945, beschloss die Regierung, den in der NS-Zeit zwangsentsiedelten Truppenübungsplatz Döllersheim wieder zu besiedeln. Viele Aussiedler hofften damals, in ihre Heimat zurückkehren zu können – vergeblich. Der Waldviertler Hannes Riemer erzählt, wie es seinen Großeltern als Heimatvertriebenen aus Kühbach damals erging.

Ein Schild und dahinter ein Feld voller Dis­teln. „Halt! Es wird scharf geschossen“ steht auf dem Schild an der Grenze zum Truppenübungsplatz Allentsteig. Wo heute das ös­ter­reichische Bundesheer Schießübungen abhält und – auf einer Fläche fast so groß wie Liechtenstein – für den Ernstfall probt, lebten noch vor nicht allzu langer Zeit Menschen in einer von den Dörfern, der Landwirtschaft, von Mühlen, Kirchen, Kapellen und Schulen geprägten Kultur­landschaft. Hier wurde gearbeitet, gefeiert, geheiratet, gebetet und gestorben – bis in die Jahre 1938 bis 1941, als rund 7.000 Menschen aus 42 Ortschaften ihre Heimat verlassen mussten, um für militärische Übungen des Deutschen Heeres Platz zu machen.

Familie Riemer muss wegziehen

Die Großeltern hätten im Frühling 1940 ihren Hof in Kühbach verlassen und seien nach Oberndorf bei Raabs gekommen, erzählt der Waldviertler Hannes Riemer, der sich seit vielen Jahren mit seiner Familiengeschichte und der Geschichte der Zwangsentsiedelung des Truppenübungsplatzes beschäftigt. Seine Tante, damals 17 Jahre alt, habe mit dieser Entwurzelung „alles verloren, ihre Jugend eigentlich abgeschlossen“, die jüngeren Kinder der Familie seien mit der Umsiedlung besser zurecht gekommen.

Kühbach war nach Döllersheim die größte entsiedelte Ortschaft. In der Gemeinde gab es eine Schule, Wirtshäuser, eine Raiffeisenkasse und eine relativ große Ortskapelle. Die Bauern dürften wohlhabend gewesen sein, denn im Ort wurden einmal 120 Pferde gezählt. Mehrere Priester stammten von hier, allen voran Ehrendechant Ferdinand Kreutzer, der am 3. Juli 1931 in der Pfarrkirche Oberndorf seine Primiz feierte und lange Jahre als Pfarrer in Zeiselmauer wirkte.

Gerüchte machen die Runde

„… auf oamoi hot’s g’hoaßn, mia miaßn weg.“ Diesen Satz, getätigt von mehreren Aussiedlern auf die Frage, wie man von der bevorstehenden Entsiedlung erfahren habe, notierte die Volkskundlerin Margot Schindler 1987 im Zuge ihrer Recherchen für ihr Buch „Wegmüssen“. Ein Lauffeuer an Gerüchten sei von Haus zu Haus gegangen, schreibt Schindler, als im Sommer 1938 die ersten acht Ortschaften innerhalb von sechs Wochen für den neu zu errichtenden Truppensübungsplatz geräumt werden mussten.

Unter den Aussiedlern brachen fieberhafte Aktivitäten an. Während eine Schätzungskommission die Anwesen taxierte, begann für die betroffene Bevölkerung die Suche nach neuen Häusern und Höfen. Die ersten, die sich rasch in ihr unvermeidliches Los fügten, hatten noch relativ gute Chancen, auf dem freien Markt ein geeigntes Anwesen zu finden. Für die Aussiedler aus Kühbach, die während der dritten Etappe der Entsiedelung 1939 an der Reihe waren, gestaltete sich die Suche schon schwieriger. Familie Riemer muss­te einen neu erbauten Aussiedlerhof wählen, weil geeignete Wirtschaften bereits ausverkauft waren. Bis Oberösterreich seien die Großeltern auf ihrer Suche nach einer neuen Bleibe gefahren, erzählt Hannes Riemer. „Aussiedlerhöfe wollten nicht viele haben. Zum einen weil eine Enteignung jüdischer Mitbürger dahintersteckte, zum anderen weil die neuen Bewohner der Höfe nicht ins Grundbuch eingetragen wurden.“

Das Umsiedlungsgehöft

Doch eine Umsiedlung war unumgänglich. Die Behörden ließen keinen Zweifel daran aufkommen, schreibt Margot Schindler, dass jeder Widerstand zwecklos sei.

Das Umsiedlungsgehöft der neuen „Siedlung Linde“, auf das Familie Riemer 1940 zog, lag auf Gründen des Guts Pfaffenschlag. Das Gut, damals in Besitz des jüdischen Ehepaares Josef und Regine Rezek, war 1938 zwangsenteignet worden. Auf dessen Grund wurden insgesamt zwölf Umsiedlungsgehöfte errichtet.
„Als die Großeltern einzogen, war der Bau noch gar nicht fertig“, erzählt Hannes Riemer. Zuerst sei die Skepsis groß gewesen. Das Winter- und Sommergetreide sowie die Erdäpfel waren bereits von Fremdarbeitern gesetzt worden, als Familie Riemer im Frühling einzog. „Dass die Erdäpfel nichts geworden sind, weil schlampig gearbeitet worden war, hat die Großmutter des Öfteren erzählt“, erinnert sich Hannes Riemer. Es sei schlecht gearbeitet worden, die Erde war zu feucht.

Es stellte sich jedoch heraus, dass der Umsiedlungshof ein nach damaligen Standard hochmodernes Anwesen war. Geplant war er als „deutscher Musterhof“ vom Berliner Architekten Willi Erdmann – nach dem Muster eines typischen Waldviertler Dreiseithofs, wie Margot Schindler berichtet. Dass die meisten Umsiedergehöfte abseits vom Ortsverband lagen, hatte einen wirtschaftlichen Vorteil – sie waren inmitten der Felder leichter zu bewirtschaften –, aber auch einen Nachteil: Die „Siedler“ konnten sich nur schwer bis gar nicht in der neuen Dorfgemeinschaft integrieren.

Die neue Landwirtschaft war mit 14,5 Hektar etwa gleich groß wie die zurückgelassene in Kühbach. In der Heimat hatte man neben Kartoffeln und Getreide auch Flachs und Mohn angebaut. Doch der Boden rund um Oberndorf war lehmiger und schwerer. Die Großeltern hatten anfangs Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen, so Riemer. Doch bald blühten auch hier Flachs und Mohn wieder. „Die Großmutter hatte einen halben Hektar Mohn, das war ein gutes Einkommen.“

Nicht willkommen

Die Großeltern seien damals nicht willkommen gewesen. „Nimm deine Kinder und geh wieder in dei Mohnnudel-Gegend!“, habe man der Großmutter einmal nachgerufen. Seine Großeltern hätten über die Zwangsumsiedlung nie gesprochen. Selbst der Vater, in Kühbach geboren und als Säugling in Oberndorf angekommen, sei im Ort nicht integriert gewesen. „Die soziale Integration ist bis heute, zumindest bis zu meiner Generation, nicht abgeschlossen“, meint der Nachfahre der Aussiedler. „Zu meiner Zeit war zum Beispiel kein Kind eines Siedlers Ministrant im Dorf.“

So verwundert es nicht, dass das Interesse an einer Rückstellung im Jahr 1945, als die Regierung eine Wiederansiedlung des Truppenübungsplatzes beschloss, allgemein sehr groß war. Doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuß: 1946 ging das Gebiet in den Besitz der Sowjetunion über und blieb ein Übungsplatz für das Militär.
Die Großeltern, die bis dahin nicht die Besitzer des Umsiedlungshofes waren, stellten noch 1957 einen Rückstellungsantrag für ihren ehemaligen Besitz in Kühbach – vergeblich. Erst 1968 ging der Umsiedlungshof in das Eigentum der Familie Riemer über.

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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