Gottesdienstfeier in schwerer Zeit
Die Kirche, die Pest und die Corona-Pandemie

Kreativ in Pestzeiten: Pestlöffel (1679), Domkirche St. Stephan, Wien, Reliquienkapelle. | Foto: Elias Haslwanter
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  • Kreativ in Pestzeiten: Pestlöffel (1679), Domkirche St. Stephan, Wien, Reliquienkapelle.
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Hans-Jürgen Feulner, Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Wien, spricht über die Gottesdienstkultur in Pest-Zeiten und die Lehren aus der Corona-Pandemie für die Kirche.

Wie ging die Kirche im Mittelalter in den Pestzeiten mit den Gottesdiensten um?
Hans-Jürgen Feulner: Da man im Mittelalter noch nichts über die genaue Verbreitung der Beulen- und Lungenpest wusste, ging man lediglich davon aus, dass die Pest hochinfektiös war und Abstand zu wahren sei. Über Wirkung und Therapie wusste man also äußerst wenig. Man lernte aber schnell, wie gefährlich es war, sich in Gegenwart der Kranken aufzuhalten, die zumeist an ihren Beulen zu erkennen waren. Man ging damals von giftigen krankmachenden Luftdämpfen (Miasmen) aus.

Wurden die Eucharistiefeiern ausgesetzt oder reduziert?
In den am stärksten betroffenen Städten ging der Gottesdienst im 14. Jh. weiter, solange der Klerus nicht gestorben oder geflüchtet war. Der Hl. Karl Borromäus († 1584) hatte bei der Pest im 16. Jh. in Mailand sogar die Zahl der Messfeiern noch erhöht und öffentliche Prozessionen gegen die Pest durchgeführt. Papst Clemens VI. (1342-1352) hatte zuvor 1348 das bis 1962 in den Messbüchern erhaltene Messformular gegen die Pest eingeführt.

Hans-Jürgen Feulner © Universität Wien
Corona-Experte Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner lehrt Liturgiewissenschaft an der Universität Wien

Gab es Einschränkungen in der liturgischen Feierkultur?
Die Gottesdienste wurden der gefährlichen Situation angepasst, wobei der Klerus den Kontakt mit der Bevölkerung auf das Nötigste beschränkte. Um den Kontakt mit den Kranken zu vermeiden, konnte die Beichte am offenen Fenster erfolgen oder den Kranken bzw. Sterbenden wurde die Kommunion mit einem langstieligen sog. "Pestlöffel" gereicht. Auf den Altären in den Kirchen wurden im 14. Jh. mancherorts die Kommunion und das Krankenöl ausgelegt. Die hohe Sterberate bei Geistlichen stellte die Kirche jedoch vor hohe Herausforderungen. Es gab daher auch gewisse Sonderregelungen, die den Einsatz von Personen erlaubten, die nicht die notwendige Ausbildung genossen hatten für die Betreuung der Gemeinden in Pestzeiten (in Dülmen/NRW sollen 1382 keine Geistlichen mehr am Leben gewesen sein, so dass der Bürgermeister gewisse gottesdienstliche Feiern leiten musste, die nicht einem Priester vorenthalten waren.) Es mussten oftmals Massengräber angelegt werden, in die die Toten manchmal auch ohne die Anwesenheit eines Geistlichen gekippt wurden (das wurde bereits von Zeitgenossen kritisiert).

Wie sahen die kirchlichen Hygienestandards aus? Wie wurden die Pestkranken seelsorglich betreut?
Papst Clemens VI. ging im Avignoner Exil während der "Großen Pest" gezielt seuchenhygienisch vor: Er ließ z.B. einen Friedhof für Massenbestattungen kaufen, segnete die Rhône als weiteren "Bestattungsort" und besoldete zusätzliche Ärzte und Pflegepersonal. Obwohl viele Geistliche vor der Pest flohen und in manchen Gegenden oft bei wichtigen gottesdienstlichen Handlungen fehlten, so kam die Mehrzahl gewissenhaft ihren seelsorglichen Verpflichtungen nach und spendeten den Pestkranken die Sakramente. Gesicht, Hände und oft auch der Mund wurden mit Essigwasser desinfiziert, dem man eine "pestizide" Wirkung zuschrieb. Auch Karl Borromäus selbst hatte in Mailand Pestkranken persönlich die Kommunion gereicht und dabei wohl auch einen langstieligen zangenartigen Kommunionlöffel aus Silber benutzt. Diejenigen, die kommunizieren wollten, stellten einen kleinen, mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch vor die Tür ihres Hauses, damit die Priester stehen blieben, um die Kommunion zu spenden. Priester, die keinen "Pestlöffel" benutzten, hatte Borromäus angewiesen, nach der Kommunionspendung die beiden Finger über eine Kerzenflamme zu halten. Für die Krankensalbung benutzte man lange Zeit auch Holz- oder Silberstäbchen, an deren Ende Baumwollkügelchen befestigt waren (in den Ostkirchen benutzt man heute auch z.B. einen Pinsel bei der Krankensalbung).

Was lässt sich daraus für heute in der Corona-Krise lernen?
Für die heutige Corona-Krise ließe sich lernen, dass die gottesdienstlichen Angebote (Messfeiern, Beichten, Krankenkommunion, Krankensalbung und Wegzehrung) soweit als möglich und auch (medizinisch-epidemiologisch) verantwortbar weitergeführt werden sollten (mit notwendigen, aber nicht übertriebenen Hygienemaßnahmen), zum spirituellen und geistlichen Wohl der Gläubigen, besonders in diesen belastenden Krisenzeiten. Bei der Messfeier sollten auch künftig gewisse hygienische Liturgiestandards weitergeführt werden, denn neue Pandemien sind mit Sicherheit nicht auszuschließen: Weihwasser in den Becken häufiger austauschen und mit Salz versetzen, Ersatz der Handreichung beim Friedensgruß durch freundliches Zunicken, Krankensalbung bei Kranken in Spitälern mit Hilfe eines "Instruments" vollziehen, Folien an den Beichtgittern in den Beichtstühlen oder vermehrt Beichtgespräche, besondere Vorsicht bei der Kelchkommunion (da weder der Alkoholgehalt noch die Vergoldung des Kelches ausreichend desinfizierend wirken) u.v.m. Gottesdienstfeiern dürfen natürlich niemals zu einer gesundheitlichen Gefahr für die Teilnehmer*innen werden, aber Besonnenheit und Verhältnismäßigkeit sind dabei ebenso angesagt.

Als Mailand gegen die Seuche ansang
Kreativ in Pestzeiten: Pestlöffel (1679), Domkirche St. Stephan, Wien, Reliquienkapelle. | Foto: Elias Haslwanter
Corona-Experte Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner, Universität Wien.
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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